ELECTRONICA: Max Loderbauer recycelt ECM
Elektronische
Wiederaufbereitung
Max Loderbauer ist einer der kreativsten Elektroniker der Berliner Szene - von Ambient bis zu einem ECM-Remix reichen seine Aktivitäten
CW. Max Loderbauer hat sich am experimentellen Ende der Berliner Elektronik-Szene positioniert. Der Synthesizerspezialist ist einen weiten Weg gegangen von der “Intelligent Dance Music” des Duos Sun Electric über Minimal-Techno seiner Gruppe NSI bis zu Klangfarbenimprovisationen mit dem Moritz von Oswald Trio. Jetzt hat er sich mit dem Elektroniker Ricardo Villalobos den ECM-Katalog vorgenommen, um ausgewählte Aufnahmen einem radikalen Remix zu unterziehen, sie minimalistisch zu zerteilen und in ein synthetisches Klangbad zu tauchen.
Deine Musik ist keine lupenreine Clubmusik. Wo würdest Du sie ansiedeln?
Max Loderbauer: Schon mit Sun Electric waren wir eher im Ambient-Bereich tätig, also in Randbereichen der elektronischen Clubmusik. Wir haben keine Musik zum Abtanzen gemacht, sondern Hörmusik.
Wie war Dein Werdegang?
Max Loderbauer: Ich hatte eine klassische Klavierausbildung, habe mich aber schon früh für andere Sounds interessiert. Wir hatten ein Cembalo zu Hause, und das hat mich inspiriert, einfach weil es ein Tasteninstrument war mit einem anderen Klang als ein Klavier. Ich habe auch schon mal unser Klavier - zum Entsetzen meiner Eltern - mit Reißnägeln präpariert, um einen ‘Honky-tonk‘-Sound zu bekommen.
Was brachte dich zur Elektronik?
Max Loderbauer: Ich fing schon als Teenager an, akustische Tasteninstrumente mit Elektronik zu verfremden. Mein Vater hatte ein Zwei-Spur-Tonbandgerät, mit dem man Mehrspuraufnahmen machen konnte. Mit dem habe ich rumgespielt, das Tempo verändert und solche Sachen. Dann spielte ich in meiner ersten Band. Wir machten Prog-Rock. King Crimson war unser großes Vorbild. Von meinen Eltern habe ich eine Hohner-Orgel zu Weihnachten bekommen, die ich heute noch besitze und bei Sun Electric einsetzte. Diese Orgel war mein erster Synthesizer. Man konnte mit ihr schon recht ungewöhnliche Sounds machen.
Wie kamst Du zum ersten Synthesizer?
Max Loderbauer: Ich habe mir Ende der 70er Jahre einen Moog Prodigy gekauft und hobbymäßig damit zu Hause rumgeprobiert, beeinflußt von Klaus Schulze und Tangerine Dream. Das Interesse war so stark, dass ich mich entschloss, daraus einen Beruf zu machen und Toningenieur in Düsseldorf zu studieren. Ich habe das Studium nicht bis zum Ende durchgezogen, weil ich keine Karriere im Rundfunk einschlagen wollte. Lieber wollte ich in einem Studio mit Synthesizern praktisch arbeiten. Ich fand einen Job in einem Studio in München, das den europäischen Vertrieb für den Fairlight hatte, den ersten Sampler - einen Riesencomputer. Die Speicherkapazität war im Sekundenbereich - doch immerhin war es ein Sampler, mit dem man mittels Tastatur oder Sequenzer mit Natursounds spielen konnte. Eine echte Revolution! Das Ding war unglaublich teuer, weswegen es nicht allzu viele gab. Ich fühlte mich wie im Paradies. Ich hab als Service-Techniker für Fairlight gearbeitet, musste bei Kunden Hardware- oder Software-‘Up-dates’ machen oder Reperaturen. Durch den Job bin ich interessanten Leuten begegnet, etwa Yello oder Eberhard Schoener, die alle damals den Fairlight hatten.
Wie begann deine Karriere als Profi-Musiker?
Max Loderbauer: Auf meinen Service-Reisen für Fairlight traf ich Stephan Fischer und Tom Thiel in einem Studio in Nürnberg. Aus dieser Begegnung ging die Gruppe Fischerman’s Friends hervor. Wir sind zusammen nach Berlin gezogen, weil dort musikalisch mehr geboten war als in der fränkischen Provinz. Nach der Trennung von Stephan Fischer habe ich mit Tom Thiel als Sun Electric weitergemacht.
Wo tratet ihr auf?
Max Loderbauer: Anfang der 90er Jahre war es üblich, bei Club-Events einen “Chill-Out”-Raum zu haben - dort haben wir unseren Ambient-Set gespielt. Wir waren von Anfang an eng mit The Orb befreundet und haben unsere ersten Live-Auftritte mit The Orb in England absolviert, dann auch eine gemeinsame Amerika-Tour unternommen. Rasch bekamen wir einen Plattenvertrag beim belgischen Techno-Label R&S, wo auch Aphex Twin und Jaydee Platten herausgaben. Es lief sehr gut!
Gelegentlich wird Sun Electric als Erfinder von ‘IDM’ genannt - Intelligent Dance Music?
Max Loderbauer: Dieser blöde Begriff wurde unserer Musik übergestülpt, weil wir keine Ambient-Musik wie Brian Eno machten, sondern rhythmisch, aber auch keine Tanzmusik auf Teufel komm raus. Alle Sounds haben wir damals ‘live’ auf der Bühne kreiert mit Sequenzern, Samplern und Synthis - analog, mit der Hand! Das habe ich bis heute beibehalten, weil mir der intuitive Eingriff in die Musik wichtig ist. Ich fühle mich wesentlich freier mit Hardware, als mit Laptop und Software. Der entscheidende Punkt für mich ist die Spontanität der Bedienbarkeit, die mit analogen Maschinen leichter zu erreichen ist. Ich schraube nicht gerne mit einer Maus herum. Außerdem bietet die analoge Technologie die Möglichkeit, Sachen zu machen, die so nicht vorgesehen sind. Digitale Technologie erlaubt das nicht. Darüber hinaus klingen die analogen Synthis immer noch etwas besser als gesampelte Software, die inzwischen schon ziemlich gut ist, doch noch nicht ganz an die echten Synthis heranreicht.
Du hast gerade mit Ricardo Villalobos ein Album für ECM gemacht, eine Art ECM-Remix. Was war die Idee?
Ricardo Villalobos & Max Loderbauer
Max Loderbauer: Wir haben aus Plattenaufnahmen unterschiedlicher ECM-Musiker Bruchstücke herausgetrennt, haben sie geloopt und dann versucht, aus diesem Material auf technischem Wege neue Stücke zu generieren. Wir haben also mit dem vorgegebenen Material gearbeitet und versucht, so wenig wie möglich von außen dazu zugeben, sondern Musik aus sich selbst heraus zu entwickeln. Wir wollten dabei irgendwie dem Geist von ECM gerecht werden. Es ist ziemlich freie Musik, impressionistisch, die manchmal eine gewisse Düsterkeit besitzt.
Wie war der Arbeitsprozeß?
Max Loderbauer::Die Platte wurde im Studio von Ricardo Villalobos eingespielt, wobei uns Spontanität wichtig war und ein “Hands-On”-Approach, was bedeutet, dass wir Wert darauf legten, den Sound sprichwörtlich in den Händen zu halten. Ricardo hat ein sehr großes Synthesizer-Modularsystem, das es erlaubte, die meisten Operationen in Echtzeit auszuführen.
War dieses Instrument euer Hauptwerkzeug?
Max Loderbauer: Ja, es ist ein Modularsystem der Firma Doepfer in München, die in diesem Bereich in den letzten Jahren Revolutionäres geleistet hat. Sie bauen Module, die man zusammenstecken und miteinander verkabeln kann. Das ist fantastisch, und wie bei einer elektrischen Eisenbahn, wo man nicht genug kriegen kann und immer wieder neue Komponenten dazu kauft. Es ist unheimlich spannend, was da im Moment passiert. Dieser modulare Synthesizer war die Basis der Einspielung. Wir haben die Extrakte von den ECM-Platten genommen, sie verändert, manipuliert, verformt und in die unterschiedlichsten klanglichen Kontexte gestellt. Wir haben also mit jeden Bruchstück eine Art ‘Live-Mix’ gemacht - vielleicht 30 Minuten lang. Alles wurde aufgenommen, danach abgehört und ediert. Der Auschnitt war das fertige Stück, vielleicht 10 Minuten lang. Wir haben noch vier bis fünf Schnitte vorgenommen - mehr nicht. Auf Overdubs haben wir nahezu völlig verzichtet. Es wurde nichts nachher noch darübergelegt, außer vielleicht Perkussion und einen Trommel-Rhythmus, aber Ricardo Villalobos ist ja auch von Hause aus Schlagzeuger.
Neuerscheinungen:
Ricardo Villalobos & Max Loderbauer: Re: ECM (ECM)
Moritz von Oswald Trio (mit Max Loderbauer): Horizontal Structures (Honest Jons Records)
Auswahldiskographie:
Sun Electric: Lost & Found (1998 - 2000) (Shitkatapult)
NSI: Sync (Non Standard Productions)
Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift Jazzthetik (www.jazzthetik.de)
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