INTERVIEW: Jazzsaxofonist ELLERY ESKELIN
Klangträumer
Ellery Eskelin zählt zu den
prägnantesten Saxofonisten der New Yorker Downtown-Szene. Seit ein paar Jahren
bastelt er an einem neuen Sound. Er sucht nach der Singbarkeit im modernen Jazz
Foto: Manuel Wagner
Ein Interview von Christoph
Wagner
Der Hut ist sein
Erkennungszeichen. Ellery Eskelin besitzt viele Hüte, dazu eine markante
Saxofonstimme, die erstmals in der Band von Joey Baron aufleuchtete. Dann ließ
er in den 90er Jahren im Trio mit Andrea Parkins (Akkordeon) und Jim Black
(Drums) aufhorchen. Diese Band wurde vom “Trio New York” abgelöst, das der Saxofonist
mit dem B3-Hammond-Orgelspieler Gary Versace und dem Schlagzeuger Gerald
Cleaver ins Leben gerufen hat. Daneben.spielt Eskelin in einer
Zwillings-Tenorsaxofongruppe mit dem Ex-Miles-Davis-Gefährten Dave Liebman.
Eskelin wohnt in Manhattan in der West 43ten Straße in einem Hochhaus, das
Musikern vorbehalten ist. Wenn man ins Wohnzimmer kommt, steht der Hutständer
gleich neben der Tür.
Sie kamen 1983
nach New York. Was zog sie hierher?
Ellery Eskelin: New York war
schon immer das Mekka des Jazz. Ich wuchs in Baltimore, Maryland auf und
träumte als junger Musiker davon, nach New York zu ziehen. Mit 23 wagte ich den
Sprung. Es war ein Riesenschritt, aber wenn man jung ist, empfindet man das als
Abenteuer. Ich hatte Kontakte zu Musikern in der Stadt und fand schnell ein
billiges Apartment in Manhattan und auch ersten Auftritte. Heute wäre das
schwieriger, weil die Mieten in Manhattan extrem hoch sind. Deshalb wohnen
junge Musiker in Brooklyn, New Jersey oder Queens, wodurch sich die Szene
fragmentiert hat.
Wie fasst man
Fuß in der New Yorker Jazzszene?
Ellery Eskelin: Als Newcomer in
New York versuchte ich bei Bandleadern wie Elvin Jones oder Art Blakey mein
Glück. Die alten Jazzmeister ließen uns junge Musiker manchmal spätabends im
letzten Set einsteigen. Allerdings gab es Hunderte junger Saxofonisten und nur
etwa ein Dutzend alter Bandleader, bei denen man unterkommen konnte. Es war
nahezu aussichtslos.
Wie ging es
weiter?
Ellery Eskelin: Ich traf andere
Musiker und wir beschlossen, unsere eigene Musik zu entwickeln. Der
Schlagzeuger Phil Haynes wohnte in einen Loft in Brooklyn, wo man proben und
Konzerte veranstalten konnte. Dieser Loft wurde zu einem Zentrum unserer
Aktivitäten. Wir begriffen, dass wir die Dinge selbst in die Hand nehmen
mussten. Es war das gleiche Do-It-Yourself-Prinzip, das schon früher die
Musiker des “New Thing” und der Loft-Szene praktiziert hatten. Damals entdeckte
ich die alternative Musikszene in Downtown Manhattan, wo ich Joey Baron traf.
Bald spielte ich in seiner Band.
Ellery Eskelin mit Christian Weber (b) und Michael Griener (dr) Foto: Doris Hüsler
Wie veränderte
sich ihr musikalisches Weltbild?
Ellery Eskelin: Ich war anfangs
sehr an traditionellem Jazz interessiert. Doch diese Szene war im Niedergang
begriffen. Ich spielte deshalb auf Hochzeiten und bei anderen sozialen
Anlässen, um Geld zu verdienen. Erst als ich Musiker der Downtown-Szene traf,
wurde mir bewußt, dass es Formen von Improvisation jenseits der Jazztradition
gab, die interessant und kreativ sein konnten. Diese Musiker machten Dinge, an die
ich als Jazzmusiker nicht im Traum gedacht hätte. Neue Horizonte eröffneten
sich. In der Gruppe mit Andrea Parkins und Jim Black konnte ich all die
fragmentierten Erfahrungen, die ich in diversen musikalischen Stilen gesammelt
hatte, zusammenzubringen. Diese Band war die Antwort auf viele musikalische
Probleme, die ich mit mir herumschleppte. Auf einmal machte alles Sinn.
Ihr
Saxofonspiel klingt heute anders als früher?
Ellery Eskelin: Das ist richtig.
Mir wurde mehr und mehr klar, dass im modernen Saxofonspiel etwas verloren
gegangen ist. Diese Qualität versuche ich wieder zu finden. Ich möchte einen
wärmeren, singenderen und volleren Klang erreichen. Deshalb habe ich ein
Interesse an alten Saxofonen entwickelt, Instrumente der 20er, 30er und 40er
Jahre. Ich habe entdeckt, dass das Design alter Instrumente anders ist als das
moderner Saxofone. Darum besitzen sie einen anderen Ton. Ich beschaffte mir ein
älteres Instrument, um darauf diesen anderer Sound zu erreichen. Allerdings
sind die alten Instrumente nicht so leicht zu spielen wie neuere.
Ging damit
eine stilistische Wende einher?
Ellery Eskelin: Keineswegs! Ich
bin nur hinter diesem besonderen Sound her. Ich möchte damit weiterhin
zeitgemäße Musik machen. Es war ein echtes Abenteuer, in den letzten beiden
Jahre herauszufinden, wie sich dieser Klang verwirklichen läßt.
Wie geht man
eine solche Herausforderung an?
Ellery Eskelin: Ich höre viele
alte Schallplatten, um hinter das Geheimnis der frühen Jazzsaxofonisten zu
kommen. Eine ihrer Stärken war, das Saxofon ähnlich wie die menschliche Stimme
klingen zu lassen. Das Saxofonspiel hatte damals eine vokale Qualität. Wenn man
Ben Webster hört, wie er die Töne formt, die Melodien entwickelt, erkennt man,
dass er wie ein Vokalist agiert. Er spielt die Melodie genauso wie ein Sänger
sie intonieren würde.
Welche
Schlussfolgerungen zogen sie aus dieser Erkenntnis?
Foto: Manuel Wagner
Ellery Eskelin: Ich spiele heute
viel weniger Noten als früher, versuche,
jede unnötige Ornamentierung zu vermeiden. Es geht mir darum, die Essenz
dieses alten Sounds zu finden, in sein Innerstes vorzudringen. Da ist eine
Qualität in dieser Musik, der ich auf die Spur kommen möchte. Ich möchte diese
alte Ausdrucksweise für zeitgenössischen Jazz fruchtbar machen, keinen alten
Stil wieder aufwärmen.
Wie reagiert
das Publikum?
Ellery Eskelin: Wenn man seine
technische Virtuosität nicht herausstellt, geht man ein Risiko ein. Doch es
gibt eine andere Virtuosität, die nichts mit oberflächlicher Rasanz zu tun hat.
Ben Webster spielte virtuos Balladen, obwohl er keine technischen Kapriolen
schlug. Das bewundere ich. Das ist das Gegenteil von einfach. Es ist viel
leichter, auf schnelle Phrasen zu setzen, als nur die wesentlichen Noten zu
spielen. Eine Melodie in überzeugender Weise darzubieten, ist eine
Herausforderung.
Sie haben sich
ein anderes Instrument zugelegt?
Ellery Eskelin: Mein Saxofon ist
ein Instrument der Marke Conn von 1927.
Es stammt aus dem goldenen Zeitalter des Saxofons, als es in den USA
etliche Hersteller gab. Ich habe dieses Saxofon hier in New York in einem
Musikgeschäft gekauft und hatte Glück, dass ich zum richtigen Zeitpunkt im
Laden war. Kein Saxofon ist wie das andere. Allerdings ist das Instrument eine
Sache, der wichtigere Teil ist der Musiker. Ein Saxofon wird anders klingen,
wenn ein anderer Musiker darauf spielt. Keine zwei Saxofone sind gleich, aber
auch keine zwei Saxofonisten.
Aktuelle Alben:
Ellery Eskelin Trio New York
(Prime Source)
David Liebman / Ellery Eskelin
/Tony Marino / Jim Black: Non Sequiturs (HatHut)
Dieses Interview erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
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