Sunday, 18 November 2012

INTERVIEW: Jazzsaxofonist ELLERY ESKELIN


Klangträumer
 
Ellery Eskelin zählt zu den prägnantesten Saxofonisten der New Yorker Downtown-Szene. Seit ein paar Jahren bastelt er an einem neuen Sound. Er sucht nach der Singbarkeit im modernen Jazz

                                                                                                              Foto: Manuel Wagner
 Ein Interview von Christoph Wagner
 
Der Hut ist sein Erkennungszeichen. Ellery Eskelin besitzt viele Hüte, dazu eine markante Saxofonstimme, die erstmals in der Band von Joey Baron aufleuchtete. Dann ließ er in den 90er Jahren im Trio mit Andrea Parkins (Akkordeon) und Jim Black (Drums) aufhorchen. Diese Band wurde vom “Trio New York” abgelöst, das der Saxofonist mit dem B3-Hammond-Orgelspieler Gary Versace und dem Schlagzeuger Gerald Cleaver ins Leben gerufen hat. Daneben.spielt Eskelin in einer Zwillings-Tenorsaxofongruppe mit dem Ex-Miles-Davis-Gefährten Dave Liebman. Eskelin wohnt in Manhattan in der West 43ten Straße in einem Hochhaus, das Musikern vorbehalten ist. Wenn man ins Wohnzimmer kommt, steht der Hutständer gleich neben der Tür.
 
Sie kamen 1983 nach New York. Was zog sie hierher?
 
Ellery Eskelin: New York war schon immer das Mekka des Jazz. Ich wuchs in Baltimore, Maryland auf und träumte als junger Musiker davon, nach New York zu ziehen. Mit 23 wagte ich den Sprung. Es war ein Riesenschritt, aber wenn man jung ist, empfindet man das als Abenteuer. Ich hatte Kontakte zu Musikern in der Stadt und fand schnell ein billiges Apartment in Manhattan und auch ersten Auftritte. Heute wäre das schwieriger, weil die Mieten in Manhattan extrem hoch sind. Deshalb wohnen junge Musiker in Brooklyn, New Jersey oder Queens, wodurch sich die Szene fragmentiert hat.
 
Wie fasst man Fuß in der New Yorker Jazzszene? 
 
Ellery Eskelin: Als Newcomer in New York versuchte ich bei Bandleadern wie Elvin Jones oder Art Blakey mein Glück. Die alten Jazzmeister ließen uns junge Musiker manchmal spätabends im letzten Set einsteigen. Allerdings gab es Hunderte junger Saxofonisten und nur etwa ein Dutzend alter Bandleader, bei denen man unterkommen konnte. Es war nahezu aussichtslos.
 
Wie ging es weiter?
 
Ellery Eskelin: Ich traf andere Musiker und wir beschlossen, unsere eigene Musik zu entwickeln. Der Schlagzeuger Phil Haynes wohnte in einen Loft in Brooklyn, wo man proben und Konzerte veranstalten konnte. Dieser Loft wurde zu einem Zentrum unserer Aktivitäten. Wir begriffen, dass wir die Dinge selbst in die Hand nehmen mussten. Es war das gleiche Do-It-Yourself-Prinzip, das schon früher die Musiker des “New Thing” und der Loft-Szene praktiziert hatten. Damals entdeckte ich die alternative Musikszene in Downtown Manhattan, wo ich Joey Baron traf. Bald spielte ich in seiner Band.

                                          Ellery Eskelin mit Christian Weber (b) und Michael Griener (dr) Foto: Doris Hüsler

Wie veränderte sich ihr musikalisches Weltbild?
 
Ellery Eskelin: Ich war anfangs sehr an traditionellem Jazz interessiert. Doch diese Szene war im Niedergang begriffen. Ich spielte deshalb auf Hochzeiten und bei anderen sozialen Anlässen, um Geld zu verdienen. Erst als ich Musiker der Downtown-Szene traf, wurde mir bewußt, dass es Formen von Improvisation jenseits der Jazztradition gab, die interessant     und kreativ sein konnten. Diese Musiker machten Dinge, an die ich als Jazzmusiker nicht im Traum gedacht hätte. Neue Horizonte eröffneten sich. In der Gruppe mit Andrea Parkins und Jim Black konnte ich all die fragmentierten Erfahrungen, die ich in diversen musikalischen Stilen gesammelt hatte, zusammenzubringen. Diese Band war die Antwort auf viele musikalische Probleme, die ich mit mir herumschleppte. Auf einmal machte alles Sinn.
 
Ihr Saxofonspiel klingt heute anders als früher?
 
Ellery Eskelin: Das ist richtig. Mir wurde mehr und mehr klar, dass im modernen Saxofonspiel etwas verloren gegangen ist. Diese Qualität versuche ich wieder zu finden. Ich möchte einen wärmeren, singenderen und volleren Klang erreichen. Deshalb habe ich ein Interesse an alten Saxofonen entwickelt, Instrumente der 20er, 30er und 40er Jahre. Ich habe entdeckt, dass das Design alter Instrumente anders ist als das moderner Saxofone. Darum besitzen sie einen anderen Ton. Ich beschaffte mir ein älteres Instrument, um darauf diesen anderer Sound zu erreichen. Allerdings sind die alten Instrumente nicht so leicht zu spielen wie neuere.
 
Ging damit eine stilistische Wende einher?
 
Ellery Eskelin: Keineswegs! Ich bin nur hinter diesem besonderen Sound her. Ich möchte damit weiterhin zeitgemäße Musik machen. Es war ein echtes Abenteuer, in den letzten beiden Jahre herauszufinden, wie sich dieser Klang verwirklichen läßt.

Wie geht man eine solche Herausforderung an?
 
Ellery Eskelin: Ich höre viele alte Schallplatten, um hinter das Geheimnis der frühen Jazzsaxofonisten zu kommen. Eine ihrer Stärken war, das Saxofon ähnlich wie die menschliche Stimme klingen zu lassen. Das Saxofonspiel hatte damals eine vokale Qualität. Wenn man Ben Webster hört, wie er die Töne formt, die Melodien entwickelt, erkennt man, dass er wie ein Vokalist agiert. Er spielt die Melodie genauso wie ein Sänger sie intonieren würde.
 
Welche Schlussfolgerungen zogen sie aus dieser Erkenntnis?
                                                                                                                                  Foto: Manuel Wagner
Ellery Eskelin: Ich spiele heute viel weniger Noten als früher, versuche,  jede unnötige Ornamentierung zu vermeiden. Es geht mir darum, die Essenz dieses alten Sounds zu finden, in sein Innerstes vorzudringen. Da ist eine Qualität in dieser Musik, der ich auf die Spur kommen möchte. Ich möchte diese alte Ausdrucksweise für zeitgenössischen Jazz fruchtbar machen, keinen alten Stil wieder aufwärmen.

Wie reagiert das Publikum?
 
Ellery Eskelin: Wenn man seine technische Virtuosität nicht herausstellt, geht man ein Risiko ein. Doch es gibt eine andere Virtuosität, die nichts mit oberflächlicher Rasanz zu tun hat. Ben Webster spielte virtuos Balladen, obwohl er keine technischen Kapriolen schlug. Das bewundere ich. Das ist das Gegenteil von einfach. Es ist viel leichter, auf schnelle Phrasen zu setzen, als nur die wesentlichen Noten zu spielen. Eine Melodie in überzeugender Weise darzubieten, ist eine Herausforderung.
 
Sie haben sich ein anderes Instrument zugelegt?
 
Ellery Eskelin: Mein Saxofon ist ein Instrument der Marke Conn von 1927.   Es stammt aus dem goldenen Zeitalter des Saxofons, als es in den USA etliche Hersteller gab. Ich habe dieses Saxofon hier in New York in einem Musikgeschäft gekauft und hatte Glück, dass ich zum richtigen Zeitpunkt im Laden war. Kein Saxofon ist wie das andere. Allerdings ist das Instrument eine Sache, der wichtigere Teil ist der Musiker. Ein Saxofon wird anders klingen, wenn ein anderer Musiker darauf spielt. Keine zwei Saxofone sind gleich, aber auch keine zwei Saxofonisten.
 
Aktuelle Alben:
Ellery Eskelin Trio New York (Prime Source)
David Liebman / Ellery Eskelin /Tony Marino / Jim Black: Non Sequiturs (HatHut)

Dieses Interview erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
 

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