Spiel mit
der Uneigentlichkeit
Eine
Ausstellung in Frankfurt/M widmet sich dem Phänomen “Glam”, das falsche Wimpern
und Plateau-Schuhe in die Popmusik einführte
The Sweet
cw. “Glam”
kommt von “Glamour” und bezeichnet eine Strömung im Pop, die Anfang der
siebziger Jahre “Love & Peace” durch Glanz und Glitzer ablöste. Wo einst
die Blumenkinder auf Wahrheit und Authentizität aus waren, setzte der neue
Trend auf Travestie, Maskerade und das Spiel mit der Uneigentlichkeit. Die
glitzernde Fassade wurde zum Markenzeichen erklärt.
Obwohl
sich “Glam” nicht als Protest gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse
verstand, waren doch Spuren von Subversion in dem neuen Stil enthalten, wenn
auch auf weniger offensichtliche Weise. Die glitzernde Warenwelt wurde so
emphatisch verherrlicht und überhöht, dass sie sich ins Absurde verkehrte und
zur Parodie verkam. “Glam” war ein exzentrischer Aufschrei gegen die Normalität
des Alltags, ein frivoles Versteckspiel mit den traditionellen
Geschlechterrollen. Mit “Glam” betrat die Exaltiertheit des
Christopher-Street-Day die Arena der Rockmusik.
David Bowie
Der Trend
war ungefähr gleichzeitig auf beiden Seiten des Atlantiks entstanden. In
England zählten Marc Bolan und T. Rex, David Bowie, Elton John und Roxy Music zu
den Impulsgebern. Sie mischten zwischen 1971 und 1976 die Hitparaden auf und
drückten der Mode ihren Stempel auf. In den USA verkörperten Iggy Pop, Lou Reed
und die New York Dolls den “Glitter Rock”. Mit einer Bühnenshow, die Rock mit
Travestie und billigem Horror verband, avancierte Alice Cooper zur Symbolfigur
des Genres dort.
Glitzernde
Sakkos, extravagante Smokings und silberne oder goldene Plateau-Stiefel
bildeten die Grundausrüstung. Musiker schlüpften in Frauenkleider, hüllten sich
in Federboas oder andere Fummel und trugen kräftig Make-Up auf. Exzentrische
Brillen, toupierte Frisuren und gefärbte Haare befeuerten die Flucht aus der
Wirklichkeit. “Glam” stand 1973 gerade hoch im Kurs, als Großbritannien in eine
schwere Wirtschaftskrise sank.
“The
Performance of Style” lautet der Untertitel der “Glam!”-Show, die nach einer
ersten Station in der Tate-Gallery im nordenglischen Liverpool, jetzt in der
Frankfurter Kunsthalle Schirn zu sehen ist. Trivia, Artefakte, Memorabilia und
Kunst hängen hier einträchtig beisammen. Mit Schallplattenhüllen, Fotografien,
Tourneeplakaten, Kleidungsstücken, Popzeitschriften, Konzertprogrammen, Gemälden,
Filmen, Installationen und Modeassesoirs wird eine Fülle von Material
ausgebreitet, das das Phänomen in seiner bunten Vielfalt aufblättert und seine
transatlantischen Wechselwirkungen und Verzweigungen nachzeichnet. So wird
nicht nur die Genese in England skizziert, sondern auch die Entwicklungen in
New York, Los Angeles und Detroit einbezogen.
Roxy Music
Manche
Exponate kommen direkt aus den Privatsammlungen der Pop-Prominenz. Roxy
Music-Sänger Bryan Ferry hat seine Schatzkammer geöffnet und nicht nur ein
glitzerndes Jacket herausgerückt, das mit Hunderten von winzigen polierten
Metallplättchen übersät ist, sondern auch Design-Entwürfe zur Verfügung
gestellt, die Aufschluß über das stringente visuell-musikalische Konzept von
Roxy Music geben. Für Fans dürfte der Zylinder von Marc Bolan eine ähnliche
Faszinationskraft besitzen, den der Sänger bei seinen Auftritten mit T. Rex
trug.
Die
bildende Kunst hatte den Kurs vorgegeben, als eine Dekade zuvor Künstler der
“Pop-Art” Werbung, Mode und Kommerz als Inspirationsquellen entdeckten und sich
dort kräftig bedienten. Andrew Logans Installationen spielten mit Kitsch und industriellem
Abfall. Richard Hamilton machte Anleihen bei Massenmedien und Werbung. Gilbert
& George kreierten den “Nice Style”, während Margaret Harrison frivole
Bilder mit makellosen Oberflächen schuf und David Hockney mit unterkühlter Distanz
malte. Sie alle sind in der Ausstellung zu sehen. Statt dem Ausdrucksfuror der
abstrakten Expressionisten bestimmten nun oft Abgeklärtheit und eine blassierte
“Coolness” die Ästhetik.
David Hockney + Andy Warhol
Zum
großen Stichwortgeber avancierte Andy Warhol. In seiner “Factory” in New York
bezog er bereits Mitte der sechziger Jahre Motive aus der Werbung, den
Massenmedien und der industriellen Warenwelt in seine Multimedia-Aktionen ein,
während die Rockgruppe The Velvet Underground mit Lou Reed unter seiner Regie durch
neue Sounds aufhorchen ließ. Kein Wunder, dass Warhol heute als Urvater,
Katalysator und Stilguru der “Glam”-Bewegung gilt. Aus England stattete ihm
David Bowie 1971 in der “Factory” einen Besuch ab, wobei Bowie damals die Haare
noch schulterlang trug. Auf Film ist die Begegnung festgehalten.
Als Marc
Bolan 1977 bei einem Autounfall ums Leben kam, hatte “Glam” den Höhepunkt
bereits überschritten. Punk machte dann endgültig Schluß mit Glanz und Glitzer,
gefiel sich wieder in rotzig-provokanter Auflehnungspose. Sicherheitsnadeln,
Irokesenfrisur und zerfetzte T-Shirts traten an die Stelle von falschen Wimpern
und Goldjackets. Der Kult des Hässlichen ließ in der Jugendkultur das Geschmackspendel
erneut in die Gegenrichtung ausschlagen.
Ausstellung:
Glam! –
The Performance of Style
Frankfurt/M,
Kunsthalle Schirn: 14. Juni bis 22. September 2013
Der Artikel erschien zuerst in der Neue Zürcher Zeitung (NZZ).
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