Tuesday, 2 July 2013

GLAM - eine Ausstellung in Frankfurt/M beleuchtet das Pop-Phänomen der 70er Jahre


Spiel mit der Uneigentlichkeit

Eine Ausstellung in Frankfurt/M widmet sich dem Phänomen “Glam”, das falsche Wimpern und Plateau-Schuhe in die Popmusik einführte

                                                                                                             The Sweet

cw. “Glam” kommt von “Glamour” und bezeichnet eine Strömung im Pop, die Anfang der siebziger Jahre “Love & Peace” durch Glanz und Glitzer ablöste. Wo einst die Blumenkinder auf Wahrheit und Authentizität aus waren, setzte der neue Trend auf Travestie, Maskerade und das Spiel mit der Uneigentlichkeit. Die glitzernde Fassade wurde zum Markenzeichen erklärt.

Obwohl sich “Glam” nicht als Protest gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse verstand, waren doch Spuren von Subversion in dem neuen Stil enthalten, wenn auch auf weniger offensichtliche Weise. Die glitzernde Warenwelt wurde so emphatisch verherrlicht und überhöht, dass sie sich ins Absurde verkehrte und zur Parodie verkam. “Glam” war ein exzentrischer Aufschrei gegen die Normalität des Alltags, ein frivoles Versteckspiel mit den traditionellen Geschlechterrollen. Mit “Glam” betrat die Exaltiertheit des Christopher-Street-Day die Arena der Rockmusik.
                                                                                                                                          David Bowie
Der Trend war ungefähr gleichzeitig auf beiden Seiten des Atlantiks entstanden. In England zählten Marc Bolan und T. Rex, David Bowie, Elton John und Roxy Music zu den Impulsgebern. Sie mischten zwischen 1971 und 1976 die Hitparaden auf und drückten der Mode ihren Stempel auf. In den USA verkörperten Iggy Pop, Lou Reed und die New York Dolls den “Glitter Rock”. Mit einer Bühnenshow, die Rock mit Travestie und billigem Horror verband, avancierte Alice Cooper zur Symbolfigur des Genres dort.

Glitzernde Sakkos, extravagante Smokings und silberne oder goldene Plateau-Stiefel bildeten die Grundausrüstung. Musiker schlüpften in Frauenkleider, hüllten sich in Federboas oder andere Fummel und trugen kräftig Make-Up auf. Exzentrische Brillen, toupierte Frisuren und gefärbte Haare befeuerten die Flucht aus der Wirklichkeit. “Glam” stand 1973 gerade hoch im Kurs, als Großbritannien in eine schwere Wirtschaftskrise sank.

“The Performance of Style” lautet der Untertitel der “Glam!”-Show, die nach einer ersten Station in der Tate-Gallery im nordenglischen Liverpool, jetzt in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zu sehen ist. Trivia, Artefakte, Memorabilia und Kunst hängen hier einträchtig beisammen. Mit Schallplattenhüllen, Fotografien, Tourneeplakaten, Kleidungsstücken, Popzeitschriften, Konzertprogrammen, Gemälden, Filmen, Installationen und Modeassesoirs wird eine Fülle von Material ausgebreitet, das das Phänomen in seiner bunten Vielfalt aufblättert und seine transatlantischen Wechselwirkungen und Verzweigungen nachzeichnet. So wird nicht nur die Genese in England skizziert, sondern auch die Entwicklungen in New York, Los Angeles und Detroit einbezogen.

Roxy Music
Manche Exponate kommen direkt aus den Privatsammlungen der Pop-Prominenz. Roxy Music-Sänger Bryan Ferry hat seine Schatzkammer geöffnet und nicht nur ein glitzerndes Jacket herausgerückt, das mit Hunderten von winzigen polierten Metallplättchen übersät ist, sondern auch Design-Entwürfe zur Verfügung gestellt, die Aufschluß über das stringente visuell-musikalische Konzept von Roxy Music geben. Für Fans dürfte der Zylinder von Marc Bolan eine ähnliche Faszinationskraft besitzen, den der Sänger bei seinen Auftritten mit T. Rex trug.

                                                                                                                                              
Die bildende Kunst hatte den Kurs vorgegeben, als eine Dekade zuvor Künstler der “Pop-Art” Werbung, Mode und Kommerz als Inspirationsquellen entdeckten und sich dort kräftig bedienten. Andrew Logans Installationen spielten mit Kitsch und industriellem Abfall. Richard Hamilton machte Anleihen bei Massenmedien und Werbung. Gilbert & George kreierten den “Nice Style”, während Margaret Harrison frivole Bilder mit makellosen Oberflächen schuf und David Hockney mit unterkühlter Distanz malte. Sie alle sind in der Ausstellung zu sehen. Statt dem Ausdrucksfuror der abstrakten Expressionisten bestimmten nun oft Abgeklärtheit und eine blassierte “Coolness” die Ästhetik.

                                                                                                David Hockney + Andy Warhol  
Zum großen Stichwortgeber avancierte Andy Warhol. In seiner “Factory” in New York bezog er bereits Mitte der sechziger Jahre Motive aus der Werbung, den Massenmedien und der industriellen Warenwelt in seine Multimedia-Aktionen ein, während die Rockgruppe The Velvet Underground mit Lou Reed unter seiner Regie durch neue Sounds aufhorchen ließ. Kein Wunder, dass Warhol heute als Urvater, Katalysator und Stilguru der “Glam”-Bewegung gilt. Aus England stattete ihm David Bowie 1971 in der “Factory” einen Besuch ab, wobei Bowie damals die Haare noch schulterlang trug. Auf Film ist die Begegnung festgehalten.

Als Marc Bolan 1977 bei einem Autounfall ums Leben kam, hatte “Glam” den Höhepunkt bereits überschritten. Punk machte dann endgültig Schluß mit Glanz und Glitzer, gefiel sich wieder in rotzig-provokanter Auflehnungspose. Sicherheitsnadeln, Irokesenfrisur und zerfetzte T-Shirts traten an die Stelle von falschen Wimpern und Goldjackets. Der Kult des Hässlichen ließ in der Jugendkultur das Geschmackspendel erneut in die Gegenrichtung ausschlagen.

Ausstellung:
Glam! – The Performance of Style
Frankfurt/M, Kunsthalle Schirn: 14. Juni bis 22. September 2013 

Der Artikel erschien zuerst in der Neue Zürcher Zeitung (NZZ).  


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