Von Altersmilde keine Spur
Er ist weltweit der bekannteste deutsche Jazzmusiker – jetzt wird Saxofonist Peter Brötzmann 80 Jahre
cw. Peter Brötzmann ist einer der wenigen deutschen Jazzmusiker, die man auch im Ausland kennt. Ob Japan, Großbritannien oder die USA, wo immer der Saxofonist auftritt, sind die Säle voll. Vor allem in Amerika verehrt ihn eine ergebene Fangemeinde. Seit er Mitte der 1970er Jahre das erste Mal in New York auftrat, hat er mit einer Vielzahl von Musikern gespielt, darunter Jazzgrößen wie Bill Laswell oder Cecil Taylor.
Der Freejazzer aus Wuppertal gilt als Saxofon-Berserker, der alle musikalischen Barrieren niederriß und die Improvisation auf die Spitze trieb. Jetzt im Herbst seines Lebens – Brötzmann wird am 6. März 80 Jahre alt – treiben ihn andere Gedanken um. “Man stößt bei der totalen Improvisation an Grenzen, die sich nicht weiter hinausschieben lassen,” bringt er seine Erfahrungen auf den Punkt. Diese Erkenntnis hat Brötzmann für eine Kurskorrektur genutzt. Sowohl sein Soloalbum “I Surrender Dear”, als auch die letzte Einspielung mit der Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh (Titel: “Sparrow Nights”) bieten anstelle von Freejazz-Tumult über weite Strecken Andacht und Versenkung. Ist Brötzmann altersmild geworden?
Der Schwenk kam nicht über Nacht und auch nicht ganz freiwillig. Vielmehr hat eine Lungenerkrankung, die Brötzmann mehr und mehr den Atem raubt, ihn zur Kurskorrektur gezwungen. Darüber hinaus hat die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh die Tendenz noch verstärkt. “Die Pedal-Steel-Gitarre ist ein Instrument, das sehr gut schwebende und wolkige Töne erzeugen kann,” sagt Brötzmann. “Darauf musste ich reagieren, also anders spielen.”
Seine Neuorientierung möchte Brötzmann keineswegs als Distanzierung von seiner Vergangenheit verstanden wissen – im Gegenteil: “Unsere Revolte in den 1960er Jahren war wichtig, um Dinge aufzubrechen, zu verändern,” bemerkt der einstige Bürgerschreck in Sachen Musik nicht ohne Stolz. “Doch heute stellt sich die Situation anders dar.”
Brötzmann mit Full Blast
Wenn jetzt die Pandemie Brötzmann eine musikalische Zwangspause verordnet, beschert sie ihm gleichzeitig mehr Zeit für seine andere Leidenschaft, die bildenden Kunst. Obwohl ihm die kalte Luft im Freien die Brust zuschnürt, geht der Wuppertaler fast täglich die zehn Meter von seiner Wohnung in sein Atelier im Hinterhaus, um sich in die Arbeit an Ölgemälden, Materialbildern, Objektkästen, Druckgraphiken oder kleinen Skulpturen zu stürzen. Ein Buch mit dem Titel “Brötzmann: Along The Way”, das zu seinem 80. Geburtstag erscheint, dokumentiert seine Arbeiten der letzten zehn Jahre.
Sein Handwerk hat der Graphikdesigner Ende der 1950er Jahre auf der Werkkunstschule in Wuppertal erlernt. Danach war er Assistent von Nam June Paik und nahm mit dem Multimedia-Avantgardisten an diversen Fluxus-Performances und Ausstellungen teil, die den Kunstbegriff auf den Kopf stellten.
Mit der gleichen Radikalität warf Brötzmann ein paar Jahre später die Jazztradition über den Haufen und schockierte mit brachialen Improvisationen. Seitdem hat er seine Konzeption immer wieder variiert und modifiziert. Nun zwingt ihn die Pandemie zu einer Auszeit, die ihm gar nicht in die Planung passt. “Die Zeit, die mir bleibt, wird kürzer und kürzer. Doch würde ich gerne noch ein paar musikalische Projekte machen. Deshalb bin ich wütend auf den Virus, der mir die Arbeitszeit stiehlt,” echauffiert sich der Jazzveteran. Von Altersmilde keine Spur.
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