Folkloristische Leidenschaft
Das Jazztrio Biondini-Godard-Niggli im Tübinger Südhaus
Biondini-Godard-Niggli in Tübingen (Foto: C. Wagner)
Noch vor 30 Jahren war das Akkordeon im Jazz quasi nichtexistent. Die Quetsche wurde in der Volksmusik gespielt, aber doch nicht in der improvisierten Musik – igitt! Heute hat sich die Situation vollkommen gedreht. Wer Luciano Biondini am Freitagabend im Tübinger Sudhaus auf dem Akkordeon hörte, hätte kaum daran gezweifelt, mit dem Akkordeon ein Urinstrument des Jazz vor sich zu haben, so stilsicher, virtuos, authentisch und gekonnt spielte der Italiener sein großes Knopfakkordeon, begleitet von zwei ebenso großen Könnern in der Rhythmusgruppe: Michel Godard (Baßgitarre, Tuba und Serpent) sowie Lucas Niggli am Schlagzeug.
Ob leise, den Tönen nachlauschend, oder kräftig-auftrumpfend, ob verspielt oder geradeheraus, das Trio musizierte mit einer Leidenschaft und gegenseitigen Empathie, die Staunen macht. Dabei schimmert sowohl bei den Kompositionen als auch bei den Improvisationen immer auch Biondinis folkloristischer Background durch, der melodiestark und auf tänzerische Weise auf traditionelle Volksmusik- und Tanzformen verweist, sie zitiert und fantasievoll weiterspinnt. In seinen Händen verwandelt sich das Akkordeon in einer Orgel der Vorstadt, die sich im Spannungsfeld zwischen urbaner Moderne und ländlichen Traditionen bewegt.
Godard und Niggli nehmen diese Impulse auf, sorgen für Drive, aber auch für eher besinnliche Momente. Ebenso überzeugen sie in längeren Solos, die sie musikalisch gestalten, ohne die üblichen Klischees abzurufen, was ja eine Berufskrankheit vor allem der Schlagzeuger zu sein scheint. Insgesamt ein überzeugender Abend: Das Publikum verließ das Konzert in einer anderen Stimmung als es gekommen war – inspiriert, berührt, beschwingt. Kann Musik eigentlich Besseres leisten?
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