Amalie Dahl's DAFNIE
Mit originellen Ideen aus der Jazz-Sackgasse
Sich in der zeitgenössischen Jazzszene mit eigener Stimme Gehör zu verschaffen, ist zu einer äußerst diffizilen Herausforderung geworden. Originell zu sein in diesem weltweit riesigen Heer von hochkarätigen Musikerinnen und Musikern, scheint nahezu ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Arme Nachwuchsmusiker! Alles war schon mal da, alles scheint ausgereizt, alles klingt so, als ob man es schon zigmal gehört hätte.
Fast alles! Immer wieder – und das sind rare Momente – taucht ein Musiker, eine Musikerin oder eine Band auf, die einen eigenen Ton anschlagen. Vorhang auf für Amalie Dahl’s Dafnie, ein Quintett aus Norwegen, das sich um die Saxofon-spielende Bandleaderin gruppiert, die für alle der acht Kompositionen verantwortlich zeichnet.
Stilistisch läßt sich die Gruppe aus Trontheim und Oslo kaum einordnen, praktizieren die fünf doch einen poly-stilistischen Ansatz, der trotzdem einen eigenen Kern besitzt. Es geht vom freien Spiel zu genau ausnotierten Kompositionen, von rauhen, aufbrausenden Improvisationen zu choralhaften Bläsersätzen. Manchmal spielen sich die drei Bläser ausgelassen und übermütig kleine Melodien zu, während Baß und Schlagzeug einen wuchtig-treibenden Rhythmus unterlegen. Am Ende mündet das Ganze in einem Unisono aller Instrumente, um danach die Saxofonistin auf Improvisationsreise zu schicken, die sie mit heißeren Schreien und Spaltklängen angeht. Man spürt den Einfluß der 1960er Jahren, doch nur als ein Stilelement unter vielen im großen zeitgenössischen Mix.
Das mannschaftsdienliche Spiel steht im Vordergrund, jeder Einzelne hat immer zuerst den Gruppenklang im Visier. Hier spielt eine Band, kein Solistenensemble, obwohl jeder auch ein beeindruckender Solist ist.
Sätze und Erklärungen – die sich im Band-Info finden – wie, dass "die Musik ein Kommentar auf die ultra-kapitalistische Machtstruktur der Gegenwart ist", kann man getrost vergessen und dem jugendlichen Rebellionseifer und Oppositionsdrang der Musiker zuschreiben. Abgesehen davon, dass eine solche Parole nichts weiter als eine der vielen abgedroschenen linksradikalen Phrasen ist, hat sie – Gott sei Dank! – mit der Musik überhaupt nichts zu tun. Ein origineller Jazzmusiker mit einem eigenem ästhetischen Ansatz werden zu wollen, wäre künstlerisch gesehen schon Anspruch genug. Mit der Vorgabe, mittels Jazz das kapitalistische System aus den Angeln zu heben, macht man sich dagegen nur lächerlich. Der Musik wird damit eine krude Bedeutung übergestülpt, die sie verstümmelt, entwertet und der sie niemals gerecht werden kann. Dieser Illusion, mit Jazz politisch irgend etwas bewirken zu können, haben sich bereits Generationen von Musikern hingegeben und sind kläglich gescheitert. Der Mythos scheint bei jeder Generation wieder neu aufzuleben. Dagegen wendet der Verpackungskünstler Christo ein: „Kunst mit einem Anliegen ist immer Propaganda“ / „Art with a cause is always propaganda“(1). Was er meint, ist schlicht, dass Sinn und Zweck von Kunst nicht Politik ist, sondern Kunst. Damit könnte man es eigentlich bewenden lassen: Macht also lieber Jazz anstatt Propaganda.
AMALIE DAHL'S DAFNIE: Står Op Med Solen (LP/CD Aguirre ZORN105)
(1) https://news.artnet.com/art-world/artnet-asks-christo-350807
AMALIE DAHL'S DAFNIE im Klub Primi (youtube)
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