50 Jahre STONES - Zeitzeugen erinnern sich
Rock-Archäologie 2:
Den Rolling Stones zum 50sten
Mick Jagger & Co.
kamen ein paar Mal ins "Ländle" - fünf Zeitzeugen erinnern sich
von Christoph Wagner
Die dienstälteste
Popgruppe der Welt, die Rolling Stones, feiert dieses Jahr ihr 50jähriges
Betriebsjubiläum. Die Band spielte ein paar Mal in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart, wobei
die ersten beiden Konzerte in den 70er Jahren wohl die eindrücklichsten waren:
1970 gab die Band ihren Einstand im Südwesten. 1976 trat sie im Stuttgarter
Neckarstadion auf - eines der ersten Stadionkonzerte in Deutschland. Zeitzeugen
erinnern sich.
Michael Russ,
Konzertdirektion Russ, Veranstalter des ersten Stones-Konzerts 1970 in Stuttgart
"Fritz Rau von der
Tourneeagentur Lippmann & Rau, mit dem wir schon zuvor zusammengearbeitet
hatten, rief mich an: ‘Ob wir bereit wären, ein Konzert mit den Rolling Stones
durchzuführen?’ Ich sagte sofort zu. Die Stones waren ja damals für einen
Veranstalter das absolut Höchste. Ich ahnte nicht, was auf mich zukam. Es gab
in diesen Jahren eine Tendenz unter der Jugend unter dem Banner des
anti-kapitalistischen Protests kostenlosen Eintritt für Popkonzerte zu fordern:
Free concerts! Das Konzert war rasch ausverkauft und vor der Halle sammelten
sich Hunderte von Jugendlichen, die keine Karten hatten.
Das Konzert war auf einen
Sonntag terminiert. Es war Katholikentag in Stuttgart. Deshalb fand am Morgen
in der Halle auf dem Killesberg noch ein Gottesdienst statt. Wir haben das viel
zu spät erfahren. Wir mussten deshalb die Scheinwerfer in der Nacht davor
installieren, sonst hätten wir den Aufbau nicht geschafft. Und die Stühle vom
Gottesdienst mussten auch noch alle
raus.
Soweit ging alles glatt.
Aber in dem Moment, als die Rolling Stones auf die Bühne kamen, kam Unruhe
unter den Leuten draußen auf, die jetzt versuchten, trotz Polizei, Stachendraht
und Wasserwerfern, in die Halle zu gelangen. Und diese Masse war nicht
aufzuhalten. Der Haupteingang ging völlig zu Bruch.
Ich bin Mick Jagger
vorgestellt worden. Nur war ich derart angespannt wegen der brenzlichen
Situation, dass ich keinen Kopf für irgend etwas anderes hatte. Ich war 60
Stunden ohne Schlaf und danach so fertig, dass ich einen Heulanfall bekam. Wir
waren Gottseidank versichert und die Versicherung hat bezahlt. Nach diesem
Vorfall wurde es schwierig, für Veranstaltungen dieser Art überhaupt noch eine Versicherung
zu bekommen. Deshalb haben wir uns eine Zeit lang aus der Popbranche
zurückgezogen. Es war einerseits eine tolle Zeit, andererseits aber auch eine
Zeit, die richtig Nerven gekostet hat."
Bernhard Schuler,
Oberbürgermeister von Leonberg
"Ich war 1970 vierzehn und
ging in Balingen aufs Gymnasium. Ein Musiklehrer aus Hechingen organisierte
eine Konzertfahrt zu den Stones. Mein Vater gab mir das Geld für den Eintritt.
Vor der Halle standen Wasserwerfer. Es gab Flugblätter gegen die Stones, denen der
Mord von Altamond vorgehalten wurde. Ich war im Publikum einer der jüngeren.
Als die Stones dann angefangen haben, ist das Publikum aufgestanden und hat zur
Bühne gedrückt, was mir gar nicht behagte. Ich hab mich nach hinten verdrückt
und stieg auf einen Beleuchtungsturm, um überhaupt zur Bühne zu sehen. Obwohl
ich ein richtiger Stones-Fan war, hat mich das Konzert nicht wirklich
begeistert. Es war nicht schlecht, aber auch nicht der absolute Hammer. Als sie
1976 im Neckarstadion spielten, bin ich nicht mehr hin. Von den Krawallen vor
der Halle habe ich nichts mitbekommen. Auf der Rückfahrt hatte der Bus noch
eine Panne. Wir kamen deshalb erst um 2:30 Uhr morgens ins Bett und mussten um
sieben schon wieder in die Schule. “Wenn schläfst du nicht zuhause aus, dann
schläfst du in der Schule aus!” hat mein Vater gemeint."
Andy Goldner, Rockmusiker
und Produzent, Jungingen
"Ich war beim ersten
Konzert der Rolling Stones in Stuttgart, das am 20. September 1970 auf dem
Killesberg stattfand. Die Halle war mittelgroß, vielleicht 4000 Besucher. Man
saß auf dem Boden auf dem Schlafsack oder dem Parka und hat es sich gemütlich
gemacht. Die Beatles und die Stones waren zu der Zeit die zwei bekanntesten
Popgruppen. Ich hörte damals auch schon andere Musik: Jimi Hendrix etwa.
Deshalb waren die Stones nicht die heisseste Band für mich. Doch es gab für ein
paar Mark gefälschte Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt und mit so einer bin
ich rein. Das Konzert war klasse. Wir sind mit unserer Englischlehrerin hin,
die sehr cool war. Im Vorprogramm spielte der schwarze Bluesgitarrist Buddy Guy
auf besonderen Wunsch der Stones, den wir aber nicht so den Knaller fanden. Für
Stuttgart war dieses Stones-Konzert ein besonderes Ereignis."
Thomas Bauschert,
Sozialarbeiter, Singen
"Ich war sechszehn und
wohnte in Tübingen, als die Rolling Stones 1970 nach Stuttgart kamen. Ich hatte
die LP ‘Big Hits’ der Stones gehört, und von diesem Moment an war ich Fan.
Brian Jones fand ich besonders toll und habe mir von meiner Mutter einen Mantel
nähen lassen, wie ihn Brian Jones trug.
Die Eintrittskarte
kostete 20 DM, das war soviel wie damals eine LP kostete. Also: Nicht ganz
wenig, aber ich musste unbedingt hin. Die Eltern eines Freunds fuhren uns. Der
Saal war dunkel und die Stones haben letztlich nicht mal eine Stunde lang
gespielt. Als sie anfingen, sind wir ganz nach vorne zur Bühne. Zuerst war ich
erstaunt, wie klein die Musiker waren. Mick Jagger und Keith Richards sind ja
körperlich keine Riesen - im Gegenteil. Aber als sie losgelegt haben, ging
schon die Post ab. Wir waren hin und weg! Wow - dieser Sound! Sie spielten
Kracher wie “Honky Tonk Women” und
“Jumpin’ Jack Flash”. Das war phänomenal. Das sind auch heute noch meine
Lieblingssongs. Danach bin immer wieder zu Stones-Konzerten: 1973 ins
Olympia-Stadion nach München, 1976 ins Stuttgarter Neckarstadion. Da war dann
schon Ron Wood dabei. Ich bin bis heute ein Fan und wenn die Band irgendwo
auftritt, bin ich dabei."
Hans-Jörg Conzelmann,
Journalist, Reutlingen
"Ich war bei dem Konzert
der Stones, das am 16. Juni 1976 im Stuttgarter Neckarstadion stattfand. Drei
Tage vorher war ich volljährig geworden, machte an diesem Tag den Führerschein
und hatte 2 Tickets. Mein Vater gab mir
seinen Ford Taunus. Ich hatte es geschafft: Mit dem Sechszylinder zu den
Stones!
Links und rechts der
Bühne türmten sich unglaubliche Mengen an Lautsprechern, bestimmt zehn Meter
hoch. Mit dreistündiger Verspätung kamen sie. Mick Jagger, geschminkt, rannte
völlig abgedreht herum. Die Stones waren in einer schlimmen Verfassung.
Manchmal kamen die Lieder fast zum Erliegen, weil keiner mehr spielte oder alle
durcheinander. Mick Jagger als treibende Kraft und Charlie Watts am Schlagzeug
als der Nüchternste hielten den Laden einigermaßen zusammen.
Mag sein, dass der Sound
miserabel war, die Stones auf Drogen, aber sie waren besser als heute! Sie
waren genau das, was man von ihnen erwartete: Laut, rotzig, besoffen und
genial. Und so war auch das Publikum, ausnahmslos junge Leute, denen es ernst
war mit "Satisfaction" und "Streetfighting Man". Die Musik
entsprach dem, was die Stones authentisch macht: bluesig, ein bisschen
verwaschen, eigentlich eher eine Bluesband.
Und ich mittendrin,
direkt vor der Bühne, im Batik-T-Shirt. Fraglos ein markantes Datum in meinem
Lebens. Ich treffe mich heute noch mit meinem Jugendfreund, der mich damals
begleitete. Seither haben wir jede neue Stones-LP gemeinsam angehört. Das ist
jetzt 36 Jahre her."
Meine erste Erinnerung an die Stones dürfte dieses Konzert sein - vom Hörensagen. Mein Vater hatte von ohnmächtigen Zuhörern gehört, vermutlich aus der Stuttgarter Zeitung. Er hielt das für symptomatisch. Nach Internetrecherche frage ich mich, ob die Ohnmächtigen vielleicht die waren, die umsonst rein wollten und gequetscht wurden? Hat jemand Erinnerung oder Zugriff auf Zeitungsarchieve?
ReplyDelete