Tuesday, 28 August 2012

50 Jahre STONES - Zeitzeugen erinnern sich


Rock-Archäologie 2:


Den Rolling Stones zum 50sten

Mick Jagger & Co. kamen ein paar Mal ins "Ländle" - fünf Zeitzeugen erinnern sich
 
von Christoph Wagner
 
Die dienstälteste Popgruppe der Welt, die Rolling Stones, feiert dieses Jahr ihr 50jähriges Betriebsjubiläum. Die Band spielte ein paar Mal in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart, wobei die ersten beiden Konzerte in den 70er Jahren wohl die eindrücklichsten waren: 1970 gab die Band ihren Einstand im Südwesten. 1976 trat sie im Stuttgarter Neckarstadion auf - eines der ersten Stadionkonzerte in Deutschland. Zeitzeugen erinnern sich.


 
Michael Russ, Konzertdirektion Russ, Veranstalter des ersten Stones-Konzerts 1970 in Stuttgart
 
"Fritz Rau von der Tourneeagentur Lippmann & Rau, mit dem wir schon zuvor zusammengearbeitet hatten, rief mich an: ‘Ob wir bereit wären, ein Konzert mit den Rolling Stones durchzuführen?’ Ich sagte sofort zu. Die Stones waren ja damals für einen Veranstalter das absolut Höchste. Ich ahnte nicht, was auf mich zukam. Es gab in diesen Jahren eine Tendenz unter der Jugend unter dem Banner des anti-kapitalistischen Protests kostenlosen Eintritt für Popkonzerte zu fordern: Free concerts! Das Konzert war rasch ausverkauft und vor der Halle sammelten sich Hunderte von Jugendlichen, die keine Karten hatten.
 
Das Konzert war auf einen Sonntag terminiert. Es war Katholikentag in Stuttgart. Deshalb fand am Morgen in der Halle auf dem Killesberg noch ein Gottesdienst statt. Wir haben das viel zu spät erfahren. Wir mussten deshalb die Scheinwerfer in der Nacht davor installieren, sonst hätten wir den Aufbau nicht geschafft. Und die Stühle vom Gottesdienst mussten  auch noch alle raus.
 
Soweit ging alles glatt. Aber in dem Moment, als die Rolling Stones auf die Bühne kamen, kam Unruhe unter den Leuten draußen auf, die jetzt versuchten, trotz Polizei, Stachendraht und Wasserwerfern, in die Halle zu gelangen. Und diese Masse war nicht aufzuhalten. Der Haupteingang ging völlig zu Bruch. 
 
Ich bin Mick Jagger vorgestellt worden. Nur war ich derart angespannt wegen der brenzlichen Situation, dass ich keinen Kopf für irgend etwas anderes hatte. Ich war 60 Stunden ohne Schlaf und danach so fertig, dass ich einen Heulanfall bekam. Wir waren Gottseidank versichert und die Versicherung hat bezahlt. Nach diesem Vorfall wurde es schwierig, für Veranstaltungen dieser Art überhaupt noch eine Versicherung zu bekommen. Deshalb haben wir uns eine Zeit lang aus der Popbranche zurückgezogen. Es war einerseits eine tolle Zeit, andererseits aber auch eine Zeit, die richtig Nerven gekostet hat."
 
 
Bernhard Schuler, Oberbürgermeister von Leonberg
 
"Ich war 1970 vierzehn und ging in Balingen aufs Gymnasium. Ein Musiklehrer aus Hechingen organisierte eine Konzertfahrt zu den Stones. Mein Vater gab mir das Geld für den Eintritt. Vor der Halle standen Wasserwerfer. Es gab Flugblätter gegen die Stones, denen der Mord von Altamond vorgehalten wurde. Ich war im Publikum einer der jüngeren. Als die Stones dann angefangen haben, ist das Publikum aufgestanden und hat zur Bühne gedrückt, was mir gar nicht behagte. Ich hab mich nach hinten verdrückt und stieg auf einen Beleuchtungsturm, um überhaupt zur Bühne zu sehen. Obwohl ich ein richtiger Stones-Fan war, hat mich das Konzert nicht wirklich begeistert. Es war nicht schlecht, aber auch nicht der absolute Hammer. Als sie 1976 im Neckarstadion spielten, bin ich nicht mehr hin. Von den Krawallen vor der Halle habe ich nichts mitbekommen. Auf der Rückfahrt hatte der Bus noch eine Panne. Wir kamen deshalb erst um 2:30 Uhr morgens ins Bett und mussten um sieben schon wieder in die Schule. “Wenn schläfst du nicht zuhause aus, dann schläfst du in der Schule aus!” hat mein Vater gemeint."
 
 
Andy Goldner, Rockmusiker und Produzent, Jungingen
 
"Ich war beim ersten Konzert der Rolling Stones in Stuttgart, das am 20. September 1970 auf dem Killesberg stattfand. Die Halle war mittelgroß, vielleicht 4000 Besucher. Man saß auf dem Boden auf dem Schlafsack oder dem Parka und hat es sich gemütlich gemacht. Die Beatles und die Stones waren zu der Zeit die zwei bekanntesten Popgruppen. Ich hörte damals auch schon andere Musik: Jimi Hendrix etwa. Deshalb waren die Stones nicht die heisseste Band für mich. Doch es gab für ein paar Mark gefälschte Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt und mit so einer bin ich rein. Das Konzert war klasse. Wir sind mit unserer Englischlehrerin hin, die sehr cool war. Im Vorprogramm spielte der schwarze Bluesgitarrist Buddy Guy auf besonderen Wunsch der Stones, den wir aber nicht so den Knaller fanden. Für Stuttgart war dieses Stones-Konzert ein besonderes Ereignis."
 
 
Thomas Bauschert, Sozialarbeiter, Singen
 
"Ich war sechszehn und wohnte in Tübingen, als die Rolling Stones 1970 nach Stuttgart kamen. Ich hatte die LP ‘Big Hits’ der Stones gehört, und von diesem Moment an war ich Fan. Brian Jones fand ich besonders toll und habe mir von meiner Mutter einen Mantel nähen lassen, wie ihn Brian Jones trug.
Die Eintrittskarte kostete 20 DM, das war soviel wie damals eine LP kostete. Also: Nicht ganz wenig, aber ich musste unbedingt hin. Die Eltern eines Freunds fuhren uns. Der Saal war dunkel und die Stones haben letztlich nicht mal eine Stunde lang gespielt. Als sie anfingen, sind wir ganz nach vorne zur Bühne. Zuerst war ich erstaunt, wie klein die Musiker waren. Mick Jagger und Keith Richards sind ja körperlich keine Riesen - im Gegenteil. Aber als sie losgelegt haben, ging schon die Post ab. Wir waren hin und weg! Wow - dieser Sound! Sie spielten Kracher wie “Honky Tonk Women” und  “Jumpin’ Jack Flash”. Das war phänomenal. Das sind auch heute noch meine Lieblingssongs. Danach bin immer wieder zu Stones-Konzerten: 1973 ins Olympia-Stadion nach München, 1976 ins Stuttgarter Neckarstadion. Da war dann schon Ron Wood dabei. Ich bin bis heute ein Fan und wenn die Band irgendwo auftritt, bin ich dabei."
 
 
Hans-Jörg Conzelmann, Journalist, Reutlingen
 
"Ich war bei dem Konzert der Stones, das am 16. Juni 1976 im Stuttgarter Neckarstadion stattfand. Drei Tage vorher war ich volljährig geworden, machte an diesem Tag den Führerschein und hatte 2 Tickets.  Mein Vater gab mir seinen Ford Taunus. Ich hatte es geschafft: Mit dem Sechszylinder zu den Stones! 
 
Links und rechts der Bühne türmten sich unglaubliche Mengen an Lautsprechern, bestimmt zehn Meter hoch. Mit dreistündiger Verspätung kamen sie. Mick Jagger, geschminkt, rannte völlig abgedreht herum. Die Stones waren in einer schlimmen Verfassung. Manchmal kamen die Lieder fast zum Erliegen, weil keiner mehr spielte oder alle durcheinander. Mick Jagger als treibende Kraft und Charlie Watts am Schlagzeug als der Nüchternste hielten den Laden einigermaßen zusammen.
 
Mag sein, dass der Sound miserabel war, die Stones auf Drogen, aber sie waren besser als heute! Sie waren genau das, was man von ihnen erwartete: Laut, rotzig, besoffen und genial. Und so war auch das Publikum, ausnahmslos junge Leute, denen es ernst war mit "Satisfaction" und "Streetfighting Man". Die Musik entsprach dem, was die Stones authentisch macht: bluesig, ein bisschen verwaschen, eigentlich eher eine Bluesband. 
 
Und ich mittendrin, direkt vor der Bühne, im Batik-T-Shirt. Fraglos ein markantes Datum in meinem Lebens. Ich treffe mich heute noch mit meinem Jugendfreund, der mich damals begleitete. Seither haben wir jede neue Stones-LP gemeinsam angehört. Das ist jetzt 36 Jahre her."
 

1 comment:

  1. Meine erste Erinnerung an die Stones dürfte dieses Konzert sein - vom Hörensagen. Mein Vater hatte von ohnmächtigen Zuhörern gehört, vermutlich aus der Stuttgarter Zeitung. Er hielt das für symptomatisch. Nach Internetrecherche frage ich mich, ob die Ohnmächtigen vielleicht die waren, die umsonst rein wollten und gequetscht wurden? Hat jemand Erinnerung oder Zugriff auf Zeitungsarchieve?

    ReplyDelete