THE FUGS - Interview mit Ed Sanders
Rock-Archäologie 3:
The Fugs - die ultimative Politrock-Sponti-Truppe des US-Undergrounds
Subversive Rockmusik, die
amerkanische Gegenkultur der 60er Jahre und der amerikanische Traum
Ein Interview mit dem
Literaten und Rocksänger Ed Sanders (The Fugs) von Christoph Wagner
In den 60er Jahren waren
die Fugs “the Lower East Side’s most fantastic protest rock ‘n’ roll
peace-sex-psychedelic singing group” - die ultimative Politrock-Sponti-Truppe
des amerikanischen Untergrunds. Ende 1964 in New York von den beiden
Beat-Poeten Tuli Kupferberg und Ed Sanders gegründet, hatte sich die Band
bereits vor dem Woodstock-Festival 1969 wieder aufgelöst. In den fünf Jahren
ihrer Existenz haben Tuli Kupferberg (Gesang), Ed Sanders (Gesang) und Ken
Weaver (Schlagzeug) mit wechselnden Gastmusikern ein eigenständiges Genre
geschaffen - eine fulminante Form des subversiv-anarchischen Rock-Kabaretts,
das alles beinhaltete: Performance-Art, Satire, Pop- und Folksongs, Happening,
Stand-Up-Comedy, die elektrischen Sounds der Avantgarde, Slapstick und Poetry.
Bei den Fugs wurde jeder Auftritt zu einem wilden Gemenge all dieser Elemente,
voll von Spontanität, Biss und Ironie. Die Underground-Band nahm kein Blatt vor
den Mund und ließ die Hosen runter. Sie schockten die Öffentlichkeit mit
Tabu-Brüchen, radikalen Polit-Attacken und Obszönitäten, wobei ihre Zuhörer vor
Vergnügen jauchzten und quiekten, wie das ausgewachsene Schwein, das sie seit
1968 mit auf die Bühne nahmen und dem Publikum als ihren Kandidaten für das Amt
des Präsidenten präsentierten.
Die Fugs waren Teil des
New Yorker Underground, der sich im East Village und auf der Lower East Side
eingenistet hatte und in den 60er Jahren vor Kreativität nur so brodelte. Im
südöstlichen Teil von Manhattan, wo wegen der billigen Mieten vor allem
Schwarze, Hispanics und europäische Emigranten wohnten, pulsierte eine Szene
aus Künstlern und Bohemiens, die von einer fiebrigen Suche nach etwas anderem
als dem vorbestimmten “American Way of Life” angetrieben wurden und von der romantischen
Wiederkehr des Wilden und Authentischen träumten, das sie irgendwo da draußen
in den Häuserschluchten zwischen East Houston Street und der East 14th Street
zu finden hofften.
Alles war “low-budget”
oder gar “no-budget”. In winzigen Bars, Cafés und kooperativen Kunstgalerien
fanden Dichterlesung, Happenings und experimentelle Film-Vorführungen statt.
Die privaten Lofts von Musikern und Künstlern wurden in Auftrittsorte für
Jazzgruppen und Performances-Spaces umgewandelt. Es entstanden experimentelle
Theaterbühnen wie das La Mama Theatre, und auf der Straße machte das Bread
& Puppet Theatre seine Aktionen. In Buchläden lag das Szeneblatt “The East Village Other” zum Verkauf aus, das
über Polit-Aktivitäten, Auftritte und Veranstaltungen informierte, neben
diversen handkopierten literarischen Blättern, gefüllt mit Beiträgen neuster
Belletristik, Lyrik und Yippie-Politik.
In diesem Milieu war der
Dichter Allen Ginsberg daheim, die Avantgarde-Musiker John Cage und LaMonte
Young, Tänzer wie Merce Cunningham, die schwarzen Jazzimprovisatoren Cecil
Taylor und Archie Shepp, die Allround-Künstler Robert Rauschenberg und Andy
Warhol (mit der Rockgruppe Vevet Underground im Schlepptau), sowie die
Performance-Artisten Allan Kaprow und Yoko Ono plus experimentelle Filmemacher
wie Mike Kuchar. Die Szene verstand sich als nonkonformistisch bis politisch,
wobei sie mit ihren Aktivitäten bewußtseins- und gesellschaftsverändernd wirken
wollten. Die jungen kreativen Jazzmusiker schlossen sich etwa in der Jazz Composers
Guild zusammen, einer gewerkschaftsähnlichen Selbsthilfeorganisation, die
versuchte, bessere Arbeitsbedingungen zu erzwingen.
Einer der
Szenetreffpunkte war der Peace Eye Book Store in der East 10th Street von
Manhattan, der von Ed Sanders betrieben wurde und als Hauptquartier der Fugs
fungierte. Der Buchladen war in einem ehemaligen jüdischen Fleischerladen
untergebracht, wobei immer noch “Strictly Kosher” im Schaufenster stand. Im
Geschäft lagen außer Büchern auch Flugblätter und Plakate aus, die zu Protestaktionen
(etwa gegen das Marihuana-Gesetz) aufriefen. Hier fabrizierte Sanders seine
Underground-Postille “Fuck You / A Magazine of the Arts”. “Ed Sanders stellte die Zeitschrift mit
Blaumatrizen her. Immer wenn er eine neue Nummer fertig hatte, lud er seine
Freunde zu sich ein,” erinnert sich Peter Stampel, Musikerkollege von den Holy
Modal Rounders, der auch zeitweise bei den Fugs spielte. “Dort waren dann die
einzelnen Seiten in Stapel aufgeschichtet. Man nahm Drogen, machte die Runde
und nahm von jedem Stapel eine Seite, bis man alle zu einem Heft
zusammenknipste.” Das literarische Blatt, das neben neuen Talenten so
renommierte Autoren wie W. H. Auden, Allen Ginsberg, LeRoi Jones und Frank
0’Hara publizierte, wurde vor allem im
East Village unter die Leute gebracht - d.h. meistens verschenkt. Die
Zeitschrift forderte mit einer Mixtur aus Pornographie, Pazifismus und
Literatur den Puritanismus und die politischen Einstellungen der
Mehrheitsgesellschaft heraus, was 1966 zu einer Polizei-Razzia führte und
Sanders vor Gericht brachte. Die Anklage: Besitz von obszönem Material. Das
Verfahren endete mit einem Freispruch.
Ursprünglich waren die
Fugs aus einer einzigen Idee heraus entstanden. Ihnen schwebte vor, Popmusik
und Poetry in den Dienst radikaler Politik zu stellen, allerdings nicht in
Agit-Prop-Manier, sondern als wilder eruptiver Akt aus Spontanität, Witz und
Kreativität. ”Sie meinten, dass
musikalisches Können und Virtuosität nicht so wichtig seien, das würde sich
schon finden. Ihre einzigen Instrumente waren anfangs ein Schlagzeug und eine
Spielzeugorgel,” erzählt Peter Stampel. “Ihre Auftritte waren der blanke
Wahnsinn. Es ging zu wie im Tollhaus! Sie sangen diese Parodien, etwa auf die
“Goldfinger”-Melodie aus dem James Bond-Film, die sie “Stinkfinger” nannten,
wobei Tuli Kupferberg mit einer schmutzigen Decke über dem Kopf auf der Bühne
herumtorkelte. Laufend wurden neue Scherze ausgeheckt. Im Publikum saßen die
angesagtesten Leute New Yorks, etwa die Clique um Andy Warhol, einfach jeder, der
in der Underground-Szene etwas galt. Die Fugs: das war radikale Politik, dazu
Sex & Drugs & Rock ‘n’ Roll. Es erforderte damals Mut, so etwas zu
machen, weil Leute für Geringeres im Gefängnis landeten.” Dazwischen wurde es
immer wieder einmal still im Konzert. Dann war Schluss mit Klamauk, wenn eine
Folterszene aus Vietnam nachgestellt wurde, um danach den Song “Kill for Peace”
anzustimmen.
Sie und Tuli Kupferberg waren Beat-Poeten. Wie kommen
zwei Dichter dazu, eine Rockband zu gründen?
Ed Sanders: Es war das
Jahr 1964. Die Beatles waren gerade über Amerika hinweggefegt und hatten
Riesenerfolge gefeiert. Roy Orbison stand hoch im Kurs. Es lag viel populäre
Musik in der Luft. Dazu kamen die Lieder der Bürgerrechtsbewegung, etwa “We
shall overcome”, die wir kannten, weil wir bei den Demonstrationen dabei waren.
Mir war Tuli Kupferberg als eine Schlüsselfigur der Beat-Generation bekannt,
weil er seine Avantgarde-Zeitschriften auf der Straße verkaufte, vor einer Bar
auf der Lower East Side in New York, wo ich mich oft aufhielt. Wir wurden
Freunde und eines nachts im Gespräch kamen wir plötzlich auf die Idee, eine
Rockband zu gründen. Wir dachten über einen Namen nach. Ich wollte uns die
Yodeling Socialists nennen. Aber Tuli Kupferberg hatte eine bessere Idee: The
Fugs! Diese Bezeichnung stammt aus Normal Mailers Roman “The Naked and the
Dead”, wo das Wort “fug” als Euphemismus für ein ähnlich klingendes Wort mit
vier Buchstaben benutzt wird. Deshalb meinten wir, das wir mit “The Fugs”
durchkommen müssten, obwohl 1965, als unser erstes Album erschien, unser
Bandname sehr kontrovers aufgenommen wurde. Wir wurden nicht im Radio gespielt,
weil man das Wort nicht öffentlich aussprechen durfte.
Wie ging die Bandgründung auf einer praktischen Ebene
vonstatten?
Ed Sanders: Damals hatte
ich gerade meinen Buchladen im East Village eröffnet, den Peace Eye Book Store,
der nur zwei Häuser von Tuli Kupferbergs Wohnung entfernt lag. Tuli und ich
schrieben zuerst einmal 50 bis 60 Songs.
Das nahm zwei bis drei Wochen in Anspruch. Ich war mit dem Folkduo The Holy
Modal Rounders befreundet, das aus Steve Weber und Peter Stampfel bestand, weil
sie oft in meinen Laden kamen. Wir luden die beiden zur Mitarbeit ein und
probten unsere Lieder zusammen.
War es leicht, als Dichter Lieder zu schreiben. Hatten
Sie musikalische Kenntnisse?
Ed Sanders: Ich hatte
fünf Jahre Klavierunterricht und Trommelstunden beim Schlagzeuger des
Philharmonic Orchestras von Kansas City. Und natürlich hatte ich alle Rock ‘n’
Roll-Sänger in meiner Heimatstadt Kansas City “live” erlebt: Chuck Berry, Bill
Haley, Bo Diddley. Zudem viele Country & Western-Sänger, Leute wie Roy
Acuff und ähnliche Künstler. Im Radio lief Rhythm & Blues und auf
Bürgerrechtsdemonstrationen konnte man Pete Seeger singen hören. Das alles
gehörte zu meiner musikalischen Bildung. Ich wusste also, wie ein Song
funktioniert. Als wir die Fugs gründeten, hatte ich bereits begonnen, drei
Gedichte von William Blake in Melodien zu fassen.
Das wichtigste Instrument schien anfangs das
Tonbandgerät gewesen zu sein?
Ed Sanders: Ich besaß ein
sehr gutes Tonbandgerät, mit dem ich die Musik ausarbeitete. Ich nahm eine Idee
auf, hörte sie mir danach immer wieder an, und nahm sie dann in verbesserter
Fassung erneut auf. So wurden langsam die Melodien geformt und den Songs
Gestalt gegeben. Viele der frühen Lieder der Fugs sind auf diese Weise
entstanden. Ich hatte damals weder ein Klavier noch ein Saiteninstrument, weshalb
die Lieder A Capella entstanden - ohne Begleitung durch ein Instrument, Stimme
pur. Tuli Kupferberg arbeitete auf die selbe Weise.
Die Fugs waren eng mit der Lower East Side von
Manhattan verbunden. Wie wichtig war dieser Ort für die Entwicklung der Band?
Ed Sanders: Damals, in
den frühen 60er Jahren, existierte die Gegenkultur noch nicht. Die Lower East
Side war ein ehemaliger Slum, wo einkommensschwache Familien wohnten und
Mietpreisbindung bestand. Man konnte damals ein Apartment für ein paar Dollar im
Monat mieten. Wie heißt es im berühmten Gershwin-Song: “Summertime, and the
living is easy”. Genau so war es! Es war leicht, mit wenig Geld über die Runden
zu kommen, weil man sich keine Sorgen um die Miete machen musste. Heute ist die
Lower East Side eine schicke Gegend, wo das gleiche Apartment Tausende von
Dollars kostet. Die Bevölkerungszusammensetzung war damals äußerst gemischt:
viele europäische Einwanderer - Polen, Tschechen, Slowaken. Es gab ukrainische
Geschäfte und polnische Restaurants. Dazu kamen Puertoricaner und andere
Lateinamerikaner, auch viele Schwarze
lebte dort. Dazwischen die Bohemiens: Poeten, Künstler, Musiker. Es gab
Jazzclubs. Die meisten Avantgarde-Jazzmusiker wohnten im East Village: Archie
Shepp, Ornette Coleman, Pharaoh Sanders und Marion Brown. Gleich in der
Nachbarschaft, in Greenwich Village, war die Folkbewegung zuhause, die dort in
Coffeehouses auftraten. Damals waren diese Viertel noch relativ sicher: Kaum
Einbrüche, wenig harte Drogen. Ideal, um den Fugs Unterschlupf zu gewähren.
Sie haben die Szene damals einen “Mix aus Kunst und
Chaos” genannt....
Ed Sanders: Auf das läuft
es hinaus, wenn kreativ gearbeitet wird. Man braucht sich nur Picassos Studio
anzuschauen. Kunst ist ein Phönix, der aus der Asche des Chaos’ aufsteigt.
Das erste Album der Fugs wurde vom kleinen
Folkways-Label veröffentlicht, das von
Moses Ash betrieben wurde, heute ein legendärer Name. Wie kam es dazu?
Ed Sanders: Es gab diese
Bar namens Stanley’s, wo man sich traf. Eines abends war ich mit dem Literaten
HL Humes dort und er erspähte plötzlich einen Bekannten, einen Typen namens
Harry Smith, den ich nicht kannte. Es stellte sich heraus, dass Smith als
experimenteller Filmemacher einen Namen hatte und außerdem berühmt für seine
Schellack-Sammlung früher amerikanischer Folkmusik war, aus deren Beständen er
1952 die Schallplattenbox “Anthology of American Folkmusic” zusammengestellt
hatte, die als Initialzündung des amerikanischen Folkrevivals gilt. Harry Smith
wurde ein Freund. Als wir die Fugs gründeten, kam er zu vielen unserer
Auftritte. Auf frühen Tonbandmitschnitten ist oft zu hören, wie wir Harry Smith
begrüßen und er aus dem Publikum zurückbrüllt. Er brachte mich in Kontakt mit
Moses Ash und ermöglichte uns ein paar Sessions im Studio von Folkways. Eines
führte zum anderen. Ohne Harry Smith bin ich nicht sicher, was aus den Fugs
geworden wäre. Vielleicht hätten wir nie Schallplatten gemacht. Er war ein
amerikanisches Genie - sehr schwierig im Umgang, was auf viele Genies zutrifft.
Das zweite Album der Fugs erschien bei ESP - einem
anderen kleinen unabhängigen Label, das damals in New York operierte, heute
ebenso legendär wie Folkways.
Ed Sanders: Ich will
nichts mehr mit ESP zu tun haben. Ich denke, dass der Betreiber des Labels das
Gegenteil von ehrlich ist. Wir hatten damals nur ein paar Monate mit ESP zu
tun. Wir nahmen unser zweites Album im
Februar 1966 in einem Studio auf, das Harry Belafonte gehörte. Das war unsere
erste Studioproduktion. ESP brachte es heraus. Wir bemerkten sehr schnell
diverse Unregelmäßigkeiten, unsaubere Machenschaften, was zum Abbruch der
Beziehungen führte.
Die Fugs wurden zu einem Fokuspunkt der Gegenkultur.
Die Band trat ununterbrochen auf, absolvierte Hunderte von Konzerten...
Ed Sanders: Im Sommer
1967 spielten die Mothers of Invention in New York in einem Theater und wir
gleich um die Ecke in einem anderen Theater, als Off-Broadway-Produktion. Von
1966 bis 1967 absolvierten wir ungefähr 900 Auftritte - bis zu drei am Tag. Wir
arbeiteten mit Requisiten und Bühnenbild wie bei einer Theaterproduktion.
War es die Idee des Gesamtkunstwerks, die Sie dazu
inspirierte, Musik, Theater, Poetry und Performance-Art zu verbinden?
Ed Sanders: Das war unser
Ziel! Die Musik stand allerdings im Zentrum. Sie wird unsere Hinterlassenschaft
sein, das, was von uns übrig bleiben wird.
Wie sahen die Verbindungen zwischen den Künstler des
Underground aus? Gab es so etwas wie eine Gemeinschaft der Subkultur?
Ed Sanders: Wenn man
Gemeinschaft lose definiert - ja! Wir kannten Frank Zappa und die Mothers. Nach
unseren Auftritten gingen wir zusammen aus. Man hing gemeinsam in Coffeehouses
herum, redete stundenlang und rauchte Dope. Auf unserer ersten Tournee an die
Westküste wohnten wir in Los Angeles bei Don Preston, dem Keyboard-Spieler der
Mothers. Wir trafen ihn 1968 bei den Essener Songtage wieder.
Es gab nicht viele politische Rockgruppen damals -
neben Frank Zappa waren Country Joe & The Fish eine der wenigen. Gab es
Kontakte?
Ed Sanders: Country Joe
& The Fish nach New York kam, probten sie im Players Theater, wo wir
engagiert waren. Wir traten gelegentlich zusammen in einem Programm auf.
Sie waren auch mit Allen Ginsberg befreundet?
Ed Sanders: Die Beziehung
zwischen den Fugs und Allen Ginsberg war recht eng. Ginsberg wohnte von 1965
bis 67 ganz in der Nachbarschaft, nicht weit vom Peace Eye Book Store entfernt.
Als die Fugs Anfang 1968 eine Teufelsaustreibung am Grab von Senator Joseph
McCarthy in Wisconsin durchführten, war Ginsberg dabei. Er trat auch bei
anderen Gelegenheiten mit uns auf. Er war eine der wichtigsten dichterischen
Inspirationsquellen für uns. Einer unserer ersten Songs war 1964 meine
Vertonung von William Blakes Gedicht "Ah, Sunflower, Weary of
Time." Ich wurde dazu angeregt,
weil ich wusste, dass Allen Ginsberg Jahre vorher eine Vision hatte: Er sah
William Blake dieses Gedicht singen.
Die Fugs standen für Provokation. Das löste
Gegenreaktionen aus, bis zu Hassausbrüche. Wie gingen Sie damit um?
Ed Sanders: Es war
beängstigend. Jemand schickte mir eine Briefbombe, die sich glücklicherweise
als Attrappe entpuppte. Sie war in eine ausgehöhlten Ausgabe von Dostojewskis
Roman “Der Idiot” eingebaut. Dann erhielt ich anonyme Anrufe, wo gedroht wurde,
uns in die Luft zu sprengen. Der Anrufer sagte, er würde zuerst mich, dann
Frank Zappa in die Luft jagen. Ich hatte damals ein kleines Kind und musste
Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Lange Zeit hatte ich nur eine geheime
Telefonnummer. Dazu kamen die Aktivitäten des FBI. Man wollte uns zur Strecke
bringen wollten. Sie meinten, unsere Texte würden den Straftatbestand der
“Obszönität” erfüllen. Wir lebten dauernd unter der Drohung, verhaftet zu
werden. Doch wir kamen durch.
Wie wurden Sie auf die Aktivitäten der Polizei
aufmerksam?
Ed Sanders: Es gibt in
den USA ein Gesetz, den Freedom of Information Act, der es erlaubt, Einsichten
in staatliche Akten zu nehmen. Das habe ich in den 70er Jahren gemacht. Es
stellte sich heraus, dass das FBI uns im Visier hatte und die
Staatsanwaltschaft ermittelte, um uns wegen bestimmter Texte dranzukriegen.
Was hätte passieren können? Ein Verbot?
Ed Sanders: Wir lebten in
den Vereinigten Staaten, nicht in der Tschecheslowakei. Wir hätten weiter
auftreten können und hätten einen Riesenskandal daraus gemacht, wenn sie uns
angeklagt hätten. Wir hätten genau dasselbe getan wie Henry Miller, als sie ihn
zensieren wollten. Oder als sie Allen Ginsbergs wegen “Howl” vor Gericht
stellten. So ein Skandal hätte wahrscheinlich geholfen, mehr Schallplatten zu
verkaufen. Wir hätten protestiert, uns auf die Verfassung berufen, wo unser
Recht auf Meinungsfreiheit garantiert ist. Wenn wir Krieg nicht gut finden,
können wir uns dagegen öffentlich aussprechen. Amerika ist keine faschistische
Diktatur. Wir hätten uns gewehrt. Aber es wäre teuer geworden. Vor Gericht
braucht man Verteidiger. Das kostet viel Geld. Wir wären auf die Unterstüztung
anderer angewiesen gewesen. Es gibt ja genug Beispiele, wie sie
Persönlichkeiten der Gegenkultur fertiggemacht haben: Ken Keasey, Timothy
Leary. Die Regierung kann gegen dich gerichtlich vorgehen und es kann so teuer
werden, das man dagegen nicht ankommt. Unser Fall war ziemlich klar: Wir waren
Poeten, aber keine Mitglieder der kommunistischen Partei. Wir waren
anarcho-sozialistische Rebellen und wir waren Pazifisten, also gegen Gewalt.
Was konnten sie gegen uns unternehmen? Wir waren Teil des amerikanischen
Traums. So begriffen wir uns immer, als Teilhaber am amerikanischen Traum von
Freiheit und Wohlstand für jedermann.
Eine der spektakulärsten Aktionen des Protests gegen
den Vietnam-Krieg, war eine Demonstration im Oktober 1967, die als “Exorzismus”
des Pentagon deklariert wurde?
Ed Sanders: Das war eine
Riesendemonstration. Viele Demonstranten wurden verhaftet, darunter berühmte
Schriftsteller wie Robert Lowell und Norman Mailer. Wir schlossen uns mit den
Diggers zusammen, einer anarchistischen Aktiontheatergruppe aus San Francisco.
Wir mieteten einen LKW mit Pritsche, auf den wir unsere Verstärkeranlage
packten, und dann fuhren wir so nahe wie möglich an die Polizeiketten heran,
die das Pentagon abschirmten. Wir richteten unsere Lautsprecher gegen das
Gebäude und fingen an ohne Unterlaß “Out, demons, out!” zu brüllen. Die
Demonstration war ein Erfolg, doch der Krieg ging weiter.
Auf den Internationalen Essener Songtagen 1968, dem
ersten Untergrund-Festival West-Deutschlands, waren die Fugs ebenfalls mit von
der Partie...
Ed Sanders: Wir traten in
Essen mit einem lebendigen Schwein auf, das wir Pigasus nannten. Auch
anderenorts war ein Schwein Teil unserer Show. Rockgruppen haben Bedingungen in
ihren Verträgen: Welche Marke Whiskey oder Scotch sie wünschen, und dass sie
Handtücher ohne Initialen wollen, solche Dinge. Wir verlangten im Vertrag nur
eines: ein sauber gewaschenes lebendiges Schwein, das der Band bei unserer
Ankunft übergeben werden sollte. Die Idee, mit einem Schwein aufzutreten, haben
wir von einer Kommune namens Hog Farm übernommen, die dadurch bekannt wurde,
dass sie beim Woodstock-Festival für die Verflegung sorgte. Ein Jahr zuvor,
beim Parteitag der Demokraten in Chicago, kamen sie mit einem Schwein an, das
sie zum Präsidentschaftskandidaten kürten. Diese Idee haben wir übernommen,
weil wir das Gefühl hatten, dass nach der Ermordung von Robert Kennedy, die
Wahlen manipuliert waren, eine Tat, die uns als die Aktion eines bezahlten
Killers vorkam. Deshalb protestierten wir gegen den gesamten weiteren
politischen Prozess, in dem wir ein Schwein zu unserem
Präsidentschaftskandidaten machten. Das war ein unschuldiger Akt. Wir liebten
unser Land, aber wir fürchteten, mehr und mehr unter die Befehlsgewalt des
Militärs zu geraten.
Wie gestaltete sich das Leben als Symbolfigur der
Gegenkultur?
Ed Sanders: All diese
Kontroversen laugten mich aus. Es waren nicht nur die Attacken, denen man
ausgesetzt war. Wir mussten Geld verdienen, weil wir Rechtsanwälte bezahlen
mussten und außerdem unser Rock ‘n’ Roll-Lebensstil viel Bares verschlang. Ich
sehnte mich nach meinem Leben als Beatnik-Poet zurück. Nach einem Konzert im
Mai 1969 mit The Grateful Dead, entschloß ich mich, als Musiker eine Pause
einzulegen. Diese Auszeit dauerte 15 Jahre. Erst seit 1984 kommen die Fugs
wieder zu regelmäßigen Re-Unions zusammen. Wir haben gerade ein neues Album
aufgenommen mit 14 neuen Liedern. Tuli Kupferberg, der mittlerweile 85 Jahre
alt ist, hat ein paar wunderbare Songs beigesteuert. Tuli kann nicht mehr
reisen, deshalb haben wir die Einspielung
in seinem Loft in New York gemacht. Es wird wahrscheinlich das letzte
Album der Fugs sein.
Tabubrüche sind heute kein Refugium der Avantgarde
mehr. Jede Reality-TV-Show lebt von Schock und Obszönitäten. Wie beurteilen sie
die Wirkung der Fugs im Rückblick?
Ed Sanders: Ich bin
glücklich, dass wir heute mehr Freiheit haben. Wir wirkten dabei mit, die
Freiheit in Amerika zu formen. In den 60er Jahren hatten wir das Gefühl, dass
es viele Freiheiten in den USA gab, die durch die Verfassung garantiert waren,
aber nicht wahrgenommen wurden. Der Satz “Use it or loose it!” trifft zu. Ich
habe weder ein schlechtes Gefühl noch Reue, zu diesen neuen Freiheiten
beigetragen zu haben.
Buch:
Ed Sanders: Fug you - An informal History of the Peace Eye Bookstore, the Fuck You Press, the Fugs and Counterculture in the Lower East Side (Da Capo Press, 2012)
Musik:
The Fugs: Be Free - Final
CD (Part 2). Fugs Records (2010)
4-CD-Anthologie:
The Fugs: Don’t Stop,
Don’t Stop. 4er-CD-Box (Ace Records)
Auf deutsch erhältliche
Bücher:
Jetz als Ebook:
http://christophwagnermusic.blogspot.co.uk/2014/05/ed-sanders-tales-of-beatnik-glory-die.html
Ed Sanders:
Die Freaks von Greenwich
Village - Tales of Beatnik Glory, Band 1,
(Hannibal Verlag),
Paperback, 315 S. Euro 10,50
East Side Blues - Tales
of Beatnik Glory, Band 2, (Hannibal Verlag) Paperback, 320 S. Euro 19,90
Sommer der Liebe - Tales
of Beatnik Glory, Band 3, (Hannibal Verlag)
Paperback, 260 S. Euro 10,50
ein hervorragendes Interview, das die Entwickliung der FUGS und ihre Bedeutung für die Protest- und Teile der literarischen Szene der USA aufzeigt. Informationen aus erster hand ...
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