Spezialist für Weltmusik
Weniger ist mehr – der Independent-Vertrieb Indigo
Adele, Wilco, LaBrassBanda und der Buena Vista Social
Club sind seine Bestseller. Vor 20 Jahren wurde der Hamburger Vertrieb
gegründet – klein, aber fein! Mittlerweile ist ein ausgewachsener
mittelständischer Betrieb daraus geworden mit 70 Mitarbeitern und 20 Millionen
Umsatz. Bis heute trotzt Indigo der Krise in einer arg gebeutelten
Plattenindustrie.
Nikel Pallat zählt zum Urgestein der deutschen Musikszene.
Er war schon ganz früh als Band- und Label-Organisator von Ton Steine Scherben dabei. 1971 machte ihn eine
spektakuläre Tat berühmt: Bei einer Fernsehdiskussion beim WDR über Popmusik
und Kommerz zückte er plötzlich mitten in der Debatte vor laufender Kamera ein
Beil und zertrümmerte den Tisch, an dem die Diskutanten Platz genommen hatten,
aus Wut und Ärger, und als Protest gegen die
kapitalistisch-öffentlich-rechtliche Vereinnahmung.
Inzwischen ist Pallat ruhiger geworden. Er sieht die Dinge
gelassener und weniger holzschnittartig. Heute sitzt er in der Geschäftsleitung
von Indigo, einem der größten Independent-Vertriebe im deutschen Musikgeschäft.
Dort hat man sich von den Prinzipien eines alternativen Wirtschaftens nicht
gänzlich verabschiedet, versucht sie aber mit den Erfordernissen eines
erfolgreichen Geschäftsmodells in Einklang zu bringen. Indigo vertreibt
Dutzende von Labels. Sein Spezialgebiet ist Weltmusik, Roots-Reggae, Singer-Songwriter und
alternative Rockmusik.
“Wir haben 1970/71 mit der David Volksmund-Produktion
begonnen, um die Alben von Ton Steine Scherben auf den Markt zu bringen. Mit
der kapitalistischen Plattenindustrie wollten wir nichts zu tun haben.”
erinnert sich Pallat. “Das hat zum Glück
funktioniert, sodass sich uns bald ein paar befreundete Bands anschließen wollten.”
Aus diesen Anfängen entstand 1976 das April-Label. Wegen
namensrechtlicher Probleme benannte sich der Alternativvertrieb kurze Zeit
später in Schneeball-Records um. Mit von der Partie waren Gruppen wie Embryo,
Missus Beastly und Sparifankal. Man wirtschaftete nach dem Motto: Musik im
Vertrieb der Musiker!
Die Gründung von April bzw. Schneeball Records war in den
bewegten 70er Jahren keine Ausnahmeerscheinung. Überall in Europa gab es
Tendenzen im Musikbusiness, alternative Strukturen gegen die Major-Companies aufzubauen. Dieser Trend
bekam Ende der 70er Jahre in Deutschland
einen erneuten Schub durch die Neue Deutsche Welle und den Punkrock.
Labels wie No Fun Records mit Hans-A-Plast oder Tritt-Records mit den Straßenjungs entstanden. Und in München
gab es das Trikont-Label, das sich den Regionalismus auf die Fahnen geschrieben
hatte und ebenfalls einen
eigenen Vertrieb besaß.
Anfang der 80er Jahre wurde der Versuch unternommen, alle
diese Kleinstlabels in einem einzigen Vetrieb zusammenzuführen. Die Firma
“Energie für Alle” war geboren. Efa began als kleines unabhängiges Netzwerk von
Einzelkämpfern, das 1986 in der EFA
Medien GmbH aufging. “Das bekam damals zum ersten Mal eine professionellere
Ausrichtung,” erinnert sich Pallat. “Wir arbeiteten mit Recommended Records
(RecRec) in der Schweiz zusammen, mit Materiali Sonori in Italien, mit der
englischen Anarcho-Punkband Crass und
ihrem Label und mit ‘Rock in Opposition’.”
1992 kam es zum Split. Wegen Meinungsverschiedenheiten
über die künstlerische Ausrichtungen und anderer Streitpunkte verließen Pallat
und drei zwei weitere Gesellschafter
EFA und machten unter dem Namen
Indigo weiter. Ein großer Teil der deutschen Labels ging zur neuen Firma mit.
“Unser Konzept war, nicht so viele Veröffentlichungen zu machen. Wir wollten
uns auf weniger Labels konzentrieren, diese aber intensiver betreuen, “ erklärt
Pallat. “’Weniger ist mehr!’ lautete unser Motto.”
Indigo streckte die Fühler weiter aus. Man begann zu exportieren. Gleichzeitig klopften
ausländische Labels in Hamburg an auf der Suche nach einem deutschen Vertrieb.
Eines davon war Cooking Vinyl aus England, das Tom Robinson, Jackie Leven und
Billy Bragg unter Vertrag hatte. “Das paste alles gut zu den Sachen, die wir
schon betreuten,” meint Pallat.
Indigo expandierte. Weitere internationale Labels mit
interessanten Katalogen kamen dazu. Gleichzeitig mussten viele Anfragen
abschlägig beantwortet werden. “Unser Markenkern war am Anfang, Musik, die von
deutschen Labels produziert wurde,” stellt Pallat fest. “Labels - wie Trikont -
hatten ja zum Teil bereits internationale Linzenzen. Die hatten nicht nur
Schroeder Roadshow, Klaus der Geiger und Walter Mossmann im Programm, sondern
auch Künstler wie Floyd Westerman und Willie Dunn, amerikanische
Singer-Songwriter indianischer Abstammung. Es gab dort griechische
Rembetika-Musik, lateinamerikanische und afrikanische Klänge.”
Jenseits von Schlager und volkstümlicher Musik war das
deutsche Musikgeschäft völlig auf die anglo-amerikanische Szene fixiert.
Deutschsprachige Musik galt als Tabu – nach dem Motto: Je englischer, je
besser! Indigo kannte keine solche Berühungsängste, “wenn bestimmte politische Schmerzgrenzen
nicht überschritten wurden.” (Pallat) Schlager und Marschmusik lehnte man ab,
auch am Pop-Mainstream und Metal hatte man kein Interesse.
In den 90er Jahren schwappte die “Weltmusik”-Welle nach
Deutschland und sorgte für eine weitere stilistische Verbreiterung. “Wir
fühlten uns dieser Musik durchaus nahe. Wir hatte ja Embryo im Programm, die
Dissidenten waren bei uns, aber auch viele andere Musiker dieser Richtung,”
erklärt Pallat. Mit dem Hannibal-Label von Joe Boyd wurde ein exzellentes Weltmusik-Label
an Land gezogen. Dann gelang Indigo mit World Circuit ein erneuter Coup, als
deren Album des Buena Vista
Social Club mit Ry Cooder zum Megaseller wurde.
Seit einem Jahrzehnt verdunkeln sich die Wolken über der Phonoindustrie. Die digitale
Revolution stürzte eine ganze Branche in die Krise. Vertriebe wie Efa EFA gingen Pleite. Von deren Labels
kamen einige bei Indigo unter. Doch mehr und mehr wird mit dem Rücken zur Wand
gekämpft. “Der Phonomarkt ist
seit Jahren rückläufig. Das fing mit den illegalen Downloads an. Die
Musikversorgung des Einzelnen hat sich dadurch komplett verlagert. Die
Plattenkäufer werden weniger,” stellt Pallat fest. ”Leute holen sich Raubkopien
aus dem Netz. Dadurch hat die Tonträgerbranche einen brutalen Umsatzeinbruch
erlitten. Das schlägt bei uns direkt durch. Die Auflagen haben sich halbiert.
Ganze Jahrgänge von Käufern sind weggebrochen. Unter den Leuten zwischen 15 und
35 Jahren gibt es nur noch wenige, die CDs kaufen. Unsere Käufer sind die
älteren Semester.”
Um die Umsatzrückgänge zu kompensieren und dem
Verschwinden der Schallplattenläden entgegen zu wirken, legt Indigo heute Wert
darauf, dass seine Künstler ‘live’ präsent sind, d.h. in den Konzerten ihre CDs
direkt an die Fans verkaufen. “Die Nachfrage nach Musik und interessanter Musik
ist ungebrochen,” stellt Pallat fest. “Tatsache ist aber auch, dass seit ein
paar Jahren die großen musikalischen Innovationen ausgeblieben sind. Die
Entwicklung stagniert. Die Szenen verästeln sich mehr und mehr. In der
Weltmusik z.B. sind alle nur erdenklichen musikalischen Kombinationen bereits
ausgereizt.”
Auf Umsatzrückgang folgte Stellenabbau. Nicht so bei
Indigo – dort kam man um Entlassungen bisher herum dank einer klugen
Geschäftspolitik und einer gehörigen Portion Glück, wie Pallat mit einem Grinsen unumwunden zugibt:
“Wir haben seit zwei Jahren eine Schutzheilige: die Heilige Adele! Deren Erfolg
sorgte dafür, dass bei uns bis jetzt keine Arbeitsplätze gestrichen werden
mussten.”
Wie jede Firma der Branche lebt Indigo von ein paar Künstlern, die sich gut verkaufen und die anderen mitziehen. Neben Adele waren LaBrassBanda, Wilco eher Tom Waits und The White Stripes die Zugpferde der letzten Jahre. “Diese Erfolge kann man nicht bestellen, dazu braucht man Glück,” meint Pallat. “Die Branche lebt von Überraschungen. Musik ist ja zum Teil eine Modesache. Entweder man erwischt den nächsten Trend und ist vorne mit dabei oder er zieht an einem vorbei. Das kann man nicht am Reissbrett entwerfen, was ja auch das Schöne daran ist.” Bisher ist die Glücksfee Indigo treu geblieben.
Wie jede Firma der Branche lebt Indigo von ein paar Künstlern, die sich gut verkaufen und die anderen mitziehen. Neben Adele waren LaBrassBanda, Wilco eher Tom Waits und The White Stripes die Zugpferde der letzten Jahre. “Diese Erfolge kann man nicht bestellen, dazu braucht man Glück,” meint Pallat. “Die Branche lebt von Überraschungen. Musik ist ja zum Teil eine Modesache. Entweder man erwischt den nächsten Trend und ist vorne mit dabei oder er zieht an einem vorbei. Das kann man nicht am Reissbrett entwerfen, was ja auch das Schöne daran ist.” Bisher ist die Glücksfee Indigo treu geblieben.
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