Friday, 19 October 2012

Der Indie-Vertrieb INDIGO




Spezialist für Weltmusik

Weniger ist mehr – der Independent-Vertrieb Indigo


Adele, Wilco, LaBrassBanda und der Buena Vista Social Club sind seine Bestseller. Vor 20 Jahren wurde der Hamburger Vertrieb gegründet – klein, aber fein! Mittlerweile ist ein ausgewachsener mittelständischer Betrieb daraus geworden mit 70 Mitarbeitern und 20 Millionen Umsatz. Bis heute trotzt Indigo der Krise in einer arg gebeutelten Plattenindustrie.


                                                                                                                 
von Christoph Wagner

Nikel Pallat zählt zum Urgestein der deutschen Musikszene. Er war schon ganz früh als Band- und Label-Organisator von Ton Steine Scherben dabei. 1971 machte ihn eine spektakuläre Tat berühmt: Bei einer Fernsehdiskussion beim WDR über Popmusik und Kommerz zückte er plötzlich mitten in der Debatte vor laufender Kamera ein Beil und zertrümmerte den Tisch, an dem die Diskutanten Platz genommen hatten, aus Wut und Ärger, und als Protest gegen die kapitalistisch-öffentlich-rechtliche Vereinnahmung.

Inzwischen ist Pallat ruhiger geworden. Er sieht die Dinge gelassener und weniger holzschnittartig. Heute sitzt er in der Geschäftsleitung von Indigo, einem der größten Independent-Vertriebe im deutschen Musikgeschäft. Dort hat man sich von den Prinzipien eines alternativen Wirtschaftens nicht gänzlich verabschiedet, versucht sie aber mit den Erfordernissen eines erfolgreichen Geschäftsmodells in Einklang zu bringen. Indigo vertreibt Dutzende von Labels. Sein Spezialgebiet ist Weltmusik, Roots-Reggae, Singer-Songwriter und alternative Rockmusik.


“Wir haben 1970/71 mit der David Volksmund-Produktion begonnen, um die Alben von Ton Steine Scherben auf den Markt zu bringen. Mit der kapitalistischen Plattenindustrie wollten wir nichts zu tun haben.” erinnert sich Pallat. “Das hat zum Glück  funktioniert, sodass sich uns bald ein paar befreundete Bands  anschließen wollten.”

Aus diesen Anfängen entstand 1976 das April-Label. Wegen namensrechtlicher Probleme benannte sich der Alternativvertrieb kurze Zeit später in Schneeball-Records um. Mit von der Partie waren Gruppen wie Embryo, Missus Beastly und Sparifankal. Man wirtschaftete nach dem Motto: Musik im Vertrieb der Musiker!

Die Gründung von April bzw. Schneeball Records war in den bewegten 70er Jahren keine Ausnahmeerscheinung. Überall in Europa gab es Tendenzen im Musikbusiness, alternative Strukturen gegen die Major-Companies aufzubauen. Dieser Trend bekam Ende der 70er Jahre in Deutschland  einen erneuten Schub durch die Neue Deutsche Welle und den Punkrock. Labels wie No Fun Records mit Hans-A-Plast oder Tritt-Records mit  den Straßenjungs entstanden. Und in München gab es das Trikont-Label, das sich den Regionalismus auf die Fahnen geschrieben hatte und ebenfalls einen eigenen Vertrieb besaß.

Anfang der 80er Jahre wurde der Versuch unternommen, alle diese Kleinstlabels in einem einzigen Vetrieb zusammenzuführen. Die Firma “Energie für Alle” war geboren. Efa began als kleines unabhängiges Netzwerk von Einzelkämpfern, das 1986 in der EFA Medien GmbH aufging. “Das bekam damals zum ersten Mal eine professionellere Ausrichtung,” erinnert sich Pallat. “Wir arbeiteten mit Recommended Records (RecRec) in der Schweiz zusammen, mit Materiali Sonori in Italien, mit der englischen Anarcho-Punkband Crass und ihrem Label und mit ‘Rock in Opposition’.”

1992 kam es zum Split. Wegen Meinungsverschiedenheiten über die künstlerische Ausrichtungen und anderer Streitpunkte verließen Pallat und drei zwei weitere Gesellschafter EFA und machten unter dem Namen Indigo weiter. Ein großer Teil der deutschen Labels ging zur neuen Firma mit. “Unser Konzept war, nicht so viele Veröffentlichungen zu machen. Wir wollten uns auf weniger Labels konzentrieren, diese aber intensiver betreuen, “ erklärt Pallat. “’Weniger ist mehr!’ lautete unser Motto.”

Indigo streckte die Fühler weiter aus. Man begann  zu exportieren. Gleichzeitig klopften ausländische Labels in Hamburg an auf der Suche nach einem deutschen Vertrieb. Eines davon war Cooking Vinyl aus England, das Tom Robinson, Jackie Leven und Billy Bragg unter Vertrag hatte. “Das paste alles gut zu den Sachen, die wir schon betreuten,” meint Pallat.

Indigo expandierte. Weitere internationale Labels mit interessanten Katalogen kamen dazu. Gleichzeitig mussten viele Anfragen abschlägig beantwortet werden. “Unser Markenkern war am Anfang, Musik, die von deutschen Labels produziert wurde,” stellt Pallat fest. “Labels - wie Trikont - hatten ja zum Teil bereits internationale Linzenzen. Die hatten nicht nur Schroeder Roadshow, Klaus der Geiger und Walter Mossmann im Programm, sondern auch Künstler wie Floyd Westerman und Willie Dunn, amerikanische Singer-Songwriter indianischer Abstammung. Es gab dort griechische Rembetika-Musik, lateinamerikanische und afrikanische Klänge.”

Jenseits von Schlager und volkstümlicher Musik war das deutsche Musikgeschäft völlig auf die anglo-amerikanische Szene fixiert. Deutschsprachige Musik galt als Tabu – nach dem Motto: Je englischer, je besser! Indigo kannte keine solche Berühungsängste, “wenn bestimmte politische Schmerzgrenzen nicht überschritten wurden.” (Pallat) Schlager und Marschmusik lehnte man ab, auch am Pop-Mainstream und Metal hatte man kein Interesse.

In den 90er Jahren schwappte die “Weltmusik”-Welle nach Deutschland und sorgte für eine weitere stilistische Verbreiterung. “Wir fühlten uns dieser Musik durchaus nahe. Wir hatte ja Embryo im Programm, die Dissidenten waren bei uns, aber auch viele andere Musiker dieser Richtung,” erklärt Pallat. Mit dem Hannibal-Label von Joe Boyd wurde ein exzellentes Weltmusik-Label an Land gezogen. Dann gelang Indigo mit World Circuit ein erneuter Coup, als deren Album des Buena Vista Social Club mit Ry Cooder zum Megaseller wurde.

Seit einem Jahrzehnt verdunkeln sich die Wolken über der Phonoindustrie.  Die digitale Revolution stürzte eine ganze Branche in die Krise. Vertriebe wie Efa EFA gingen Pleite. Von deren Labels kamen einige bei Indigo unter. Doch mehr und mehr wird mit dem Rücken zur Wand gekämpft. “Der Phonomarkt ist seit Jahren rückläufig. Das fing mit den illegalen Downloads an. Die Musikversorgung des Einzelnen hat sich dadurch komplett verlagert. Die Plattenkäufer werden weniger,” stellt Pallat fest. ”Leute holen sich Raubkopien aus dem Netz. Dadurch hat die Tonträgerbranche einen brutalen Umsatzeinbruch erlitten. Das schlägt bei uns direkt durch. Die Auflagen haben sich halbiert. Ganze Jahrgänge von Käufern sind weggebrochen. Unter den Leuten zwischen 15 und 35 Jahren gibt es nur noch wenige, die CDs kaufen. Unsere Käufer sind die älteren Semester.”

Um die Umsatzrückgänge zu kompensieren und dem Verschwinden der Schallplattenläden entgegen zu wirken, legt Indigo heute Wert darauf, dass seine Künstler ‘live’ präsent sind, d.h. in den Konzerten ihre CDs direkt an die Fans verkaufen. “Die Nachfrage nach Musik und interessanter Musik ist ungebrochen,” stellt Pallat fest. “Tatsache ist aber auch, dass seit ein paar Jahren die großen musikalischen Innovationen ausgeblieben sind. Die Entwicklung stagniert. Die Szenen verästeln sich mehr und mehr. In der Weltmusik z.B. sind alle nur erdenklichen musikalischen Kombinationen bereits ausgereizt.”
Auf Umsatzrückgang folgte Stellenabbau. Nicht so bei Indigo – dort kam man um Entlassungen bisher herum dank einer klugen Geschäftspolitik und einer gehörigen Portion Glück, wie Pallat mit einem Grinsen unumwunden zugibt: “Wir haben seit zwei Jahren eine Schutzheilige: die Heilige Adele! Deren Erfolg sorgte dafür, dass bei uns bis jetzt keine Arbeitsplätze gestrichen werden mussten.”


Wie jede Firma der Branche lebt Indigo von ein paar Künstlern, die sich gut verkaufen und die anderen mitziehen. Neben Adele waren LaBrassBanda, Wilco eher Tom Waits und The White Stripes die Zugpferde der letzten Jahre. “Diese Erfolge kann man nicht bestellen, dazu braucht man Glück,” meint Pallat. “Die Branche lebt von Überraschungen. Musik ist ja zum Teil eine Modesache. Entweder man erwischt den nächsten Trend und ist vorne mit dabei oder er zieht an einem vorbei. Das kann man nicht am Reissbrett entwerfen, was ja auch das Schöne daran ist.” Bisher ist die Glücksfee Indigo treu geblieben.

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