Die wichtigste Sache im Leben
von Christoph Wagner “The Fenton” ist ein abgewetzter, etwas schäbiger Pub im nordenglischen Leeds, wie es sie entlang der Einfallstraßen englischer Großstädte häufiger gibt. Ab und zu treten hier junge Rockbands auf. 1977 war das nicht anders. Die Punkband Gang of Four probte im Obergeschoß. Immer wenn sie eine Bierpause einlegte, machten sich ein paar Stümper an den Instrumenten zu schaffen - nur zum Spaß.
Bald ging man ernsthafter zur Sache. Als ordentliche Kunststudenten wurde die Bandgründung mit einem Manifest vollzogen, das postulierte, dass die Mekons die radikalste aller Punkbands sein wollten. “Niemand von uns spielte ein Instrument,” erinnert sich Gitarrist Jon Langford. “Außerdem wollten wir im Gegensatz zu allen anderen Punkbands nur langsame Stücke spielen und nie eine Schallplatte machen.”
Ihr Dozent an der Kunsthochschule in Leeds Tim Clark, das einzige englische Mitglied der Pariser Situationistischen Internationale, ermunterte seine Schützlinge ihre musikalischen Erkundungen fortzusetzen, mochten sie noch so dilletantisch und kontrovers sein. Die radikale Verweigerung hatten allerdings nur so lange Bestand, bis jemand anbot, eine Single zu produzieren. Eine abenteuerliche Karriere begann, in deren Verlauf die Band zeitweise zum Stall von Virgin und A & M Records gehörte. Jedoch erwiesen sich die Mekons als zu widerspenstig fürs Popgeschäft. “Immer wenn wir bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag waren, wurde es schlimm,” erinnert sich Langford, “weil wir nicht nach deren Pfeife tanzten.”
Damals regierte Punk. 35 Jahre später zeigt das aktuelle Album die Mekons fast altersklug, gelassen und gereift. Gekonnt verbinden sie das Punk-Erbe mit Dub-, Folk- und Country-Einflüssen zu einem Stil, der auf profundem Songwriting beruht und die Titel unaufgeregt ins Szene setzt. Musikalisch hat sich die Band mehrfach gehäutet, ihrem rebellischen Ethos hat das keinen Abbruch getan. Neben einem Gruppensound, dem Geige, Saz und Akkordeon seine charakteristische Note verliehen, liegt im Gesang die Stärke der Band. Obwohl Sally Timms mit samtweichem Timbre häufig als Leadsängerin fungiert, treten auch andere Mitglieder stimmlich hervor, was die Palette der vokalen Farben weit auffächert. Wenn dann im Refrain eines Lieds ein mehrstimmiger Chorgesang einsetzt, entsteht eine Spannung, die unter die Haut geht.
Jenseits des Atlantiks war der Zuspruch besonders groß. Nach ein paar Tourneen ließ sich die Hälfte der Band in den USA nieder. Der Countryeinschlag wurde stärker, Hank Williams und Johnny Cash zu imaginären Mitgliedern.
Allerdings erschwerte die geographische Distanz die Arbeit. Mittlerweile kommt die Gruppe jedes Jahr für ein paar Tourneen zusammen, die auch genutzt werden, um an neuen Songs zu basteln. Kein Wunder, dass alles etwas langsamer geht. Drei Jahre haben die Mekons fürs neue Album gebraucht. “Keine Band ist wie wir!” ist sich Jon Langford sicher. Wer möchte das bestreiten?
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