Musik wie ein Schaumbad
Zum Tod des Synthipop-Pioniers, Filmkomponisten und Ambient-Pianisten Ryuichi Sakamoto
Im Dezember vorigen Jahres machte eine Hiobsbotschaft die Runde: Ryuichi Sakamoto kündigte sein letztes Konzert an, da er ein zweites Mal an Krebs erkrankt sei. Wie er seinen Fans mitteilte, könne er keinen 90 minütigen Auftritt mehr absolvieren, dafür sei er schon zu schwach, weshalb er jeweils immer nur ein einziges Stück aufgezeichnet und jetzt alle Titel zu einem Online-Konzert zusammengefügt hätte. Mit dem Wunsch „Enjoy!“ endete die Nachricht. Im Januar diesen Jahres veröffentlichte Sakamoto dann noch ein neues Album mit dem Titel „12“, was sein letztes sein sollte. Am 28. März ist der Musiker 71jährig seiner Krankheit erlegen.
Es waren vor allem Filmmusiken, die Sakamoto bekannt machten, wobei er 1983 in „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“ neben David Bowie auch als Schauspieler zu sehen war. Ob in Filmen wie „Himmel über der Wüste“, „Little Buddha“ oder „Der letzte Kaiser“, für dessen Soundtrack er einen Oscar erhielt, immer gelang es Sakamoto sich atmosphärisch voll auf das jeweilige Werk einzulassen, was den Regisseur Alejandro González Iñárritu zu dem Kompliment veranlaßte: „Ich brauchte einen Komponisten, der Stille versteht. Da war Ryuichi Sakamoto erste Wahl.“
Mit Stille kannte sich Sakamoto aus. Als Solokünstler war er ein Spezialist für ruhig dahinfließende Sounds, inspiriert von Claude Debussy. Oft breitete er weite Klangflächen aus, in die man versinken konnte, und die er mit sparsam hingetupften Pianotönen garnierte, was ihn neben Brian Eno und Harold Budd zu einem führenden Vertreter der Ambient-Musik machte. Die isländische Filmkomponistin Hildur Guðnadóttir empfand seine Musik schlicht als „zeitlos“.
Allerdings besaß Sakamoto viele Gesichter. International gestartet war er Ende der 1970er Jahren mit dem Yellow Magic Orchestra (YMO), das zum asiatischen Äquivalent der Elektropopgruppe Kraftwerk wurde. Das YMO setzte alles ein, was digitale Geräusche von sich gab von piepsendem Kinderspielzeug bis zu den Sounds der Computerspiele. Zwischen Musik und Geräuschen machte Sakamoto keinen Unterschied. Für ihn war alles Material, aus dem man Songs formen konnte, wobei er sich mit dem YMO auch nicht fürchtete, sich in die Nähe des Banalen und Profanen zu begeben.
„Cosmic Surfin‘“ hieß ein Titel des Yellow Magic Orchestras, was die ästhetische Vision der Gruppe umriß und auf eine Synthese zwischen Weltraumklängen und Surf-Beat hinauslief. Als „Synthipop“ wurde der Stil etikettiert, der in Japan wahre Begeisterungsstürme auslöste. Aus dem Yellow Magic Orchestra, das als Studioprojekt begonnen hatte, wurde mit der Zeit eine äußerst populäre „Live“-Band und Sakamoto zu einem gefragten Kooperationspartner der internationalen Popelite, bewundert u.a. von David Sylvian, David Byrne und Flying Lotus.
Ein starkes Interesse an elektronischem Instrumentarium hatte der 18jährige bereits während seines Studiums an der Kunsthochschule von Tokio entwickelt. Fasziniert von den Möglichkeiten synthetischer Sounds experimentierte Sakamoto ab 1970 mit frühen Synthesizer-Modellen, eine Leidenschaft für technologische Neuerungen, die sein ganzes Leben lang anhielt.
Mit dem Alter wurde Sakamoto immer leiser. Sein aktuelles Album, das 23ste, enthält ein Dutzend Kompositionen – eine versunkener als die andere. Die Stücke tragen jeweils das Entstehungsdatum als Titel, das letzte „20220404“ war fast genau vor einem Jahr entstanden. Manchmal bildet nur ein Meeresrauschen den Background für die fast schwerelosen Klaviermelodien, die Sakamoto so spärlich setzt, als käme es auf jede Note an. Und genau darum ging es ihm, um die Wertschätzung eines jeden einzelnen Tons.
Ryuichi Sakamoto: 20220304 vom Album "12" (youtube)
Hallo Christoph Wagner.
ReplyDeleteVielen Dank für Ihre Worte über Ryuichi Sakamoto.
"Und genau darum ging es ihm, um die Wertschätzung eines jeden einzelnen Tons."
Besser kann man es, so glaube ich, nicht beschreiben.
Vor allem in der Arbeit mit Alva Noto und z. B. dem Ensemble Modern war es sein Weg.
Und natürlich mit seinem letzten Album "12".
Selten habe ich das Werk eines Komponisten wie Ryuichi Sakamoto so verfolgt, wie die seine.
Seine Melodien werden mich ein Leben lang begleiten.
Danke und beste Grüße Henry / radiohoerer