Wednesday, 9 August 2023

SIMON STEINER: Die Klarinette in der Musik Griechenlands

GASTBEITRAG von SIMON STEINER  

Der sanfte Klang der Klarino     

Im Epirus wird die Volksmusik von griechischen Klarinetten, den Klarina, dominiert. Sie liegen in den Händen mehrerer Familien und Generationen. Sie klingen ungewöhnlich weich und gleiten geschmeidig von Ton zu Ton. Die Tradition der Klarina wird kultiviert. Auch zu den Mirológia, den lamentierenden Liedern, gehört das dunkle Holzblasinstrument. Auf Events lauert die visuelle Übermacht, und die elektrifizierte Klarinette wird durch Effekte verfremdet.

Griechische Klarinette und griechischer Wein, Fotografie ca. 1920 (Sammlung C. Wagner)


                                                     

Die Landschaft prägt die Musik 

Die im Nordwesten Griechenlands liegende Region Epirus und die Klarinette sind eins. Das Holzblasinstrument weint, haucht und singt über Berge und Täler, zum Gebimmel der Schafherden, zu Vogelgezwitscher und Hirtengesängen. Die Klarinette, gr.: Klarino, gehört zum Epirus, wie seine Weiden und Wälder, Steinhäuser und rauen Felsen. Artistische Triolen und Improvisationen auf pentatonischen und persisch-arabischen Tonleitern hallen über saftige Wiesen, sanfte Töne kullern über Kurven und alte Steinbrücken. In Schluchten schlummern warme Klarinettentöne. Durch die größeren Städte Igoumenitsa oder Ioannina spazieren Klarinettisten, meist nennen sie sich gýfti (Γύφτοι, Gypsies). Dabei sorgen Kinder für verspielte Unterhaltung und empfangen ein Almosen. Auf Tanz- und Hochzeitsfesten dominiert die Klarinette, oft von Roma gespielt. Sie verdienen gutes Geld. Traditionell wird ein Klarinettist in der Kompanía im Epirus von Violine, Laute und Def, einer Trommel, begleitet. Armut, Verluste, Trauer und Einsamkeit drücken sich in den Klageliedern aus. Zu den markanten Liedern zählen neben den Klageliedern, die auch Mirológia, „Worte des Schicksals“ genannt werden, Skáros, die Hirtenlieder, und die Trinklieder tis távlas.

Epirus (Foto: Lefki)

  

Herkunft und Spielweise der Klarinette

 

Der Name des Instruments kommt von der Clarin-Trompete, beide klingen im hohen Register ähnlich. Es heißt auch, dass Klarinette von „klar“ stammt und ja, man kann das Instrument rein und sauber spielen. Jeder griechische  Klarinettist spielt in seinem persönlichen Farbton, jeder betont und atmet anders, zieht geschmeidig die Töne durch  Veränderung des Luftdrucks und der Lippen- und Kieferhaltung und lässt die Mikro-Töne in Glissando gleitend ineinander fließen. Eine andere Raffinesse ist, die Grifflöcher nicht schlagartig, sondern langsam partiell zu öffnen bzw. zu schließen.

            

 

„Griechenland war und ist musikalisch ein Teil des sogenannten Orients.“

 

Der typische Epirus-Klarino-Sound verbindet die Klänge des Balkans, aus Albanien, Serbien und Rumänien oder Bulgarien mit ala greca und ala turka. Als Griechenland allmählich unabhängig wurde, verblieb der Epirus zunächst noch recht lange beim Osmanischen Reich und hielt sich musikalisch gesehen auch länger offen für türkische Einflüsse. Erst durch die Balkankriege 1912/13 konnten die Griechen den größten Teil von Epirus ihrem Staat anschließen.  Der Epirus ist häufig bekannt auch als Heimat der Guerilla-Banditen, der Klephten, die sich gegen die türkische Herrschaft Ali Pashas auflehnten. Aus ihren Sippen stammen viele Klarinettisten und Lieder. Ionische Orchester, jüdische Klezmer-Musik, Sinti und Roma aus dem Osmanischen Reich und die Vlachen – Hirten und Händler – beeinflussten die Spielweisen, die noch heute den Epirus-Klarino-Sound auszeichnen.

Nicht nur am Beispiel der Klarinette kann man behaupten, dass das musikalische Griechenland orientalische Klänge transzendiert. Überhaupt importierten schon die alten Griechen Musik aus dem Orient, und so hat eben ihre Musik viele Gemeinsamkeiten, sie reichen von Indien bis in die Balkanländer. Der Historiker und Musiker Ioannis Zelepos sagte einmal: „Griechenland war und ist musikalisch ein Teil des sogenannten Orients.“ Als Erfinder der Klarinette, die sich Ende des 17. Jahrhunderts aus der Schalmei/Chalumeau entwickelte, gilt zwar ein Nürnberger Instrumentenbauer: Johann Christoph Denner.

 

Vorläufer der Klarinette

 

Aber die Flöte Flogera und die Zournas, eine Art Oboe, waren in Griechenland die Vorläufer. Die Klarinette der griechischen Volksmusik hat viele weitere Wurzeln und Zweige: Mitte des 19. Jahrhunderts brachten deutsche und türkische Militärkapellen das Instrument nach Griechenland. Sultan Mahmud II. gründete damals eine Musikakademie, um der Armee westliche Instrumente vorzustellen. Klarinettist Vassilis Besiris, wurde nicht umsonst „Tourkovasilis“ genannt. Die ornamentreiche Klarino mit ihren Trillern, angeschliffenen Tönen und chromatischen Läufen verzichtet auf den bluesigen Sound, der die Blue Notes betont und mit Vibrato und Tremolo eifert.

 

 

Klarino oder Jazz-Klarinette?

 

Die Klarino muss sich nicht hinter der Jazz-Klarinette verstecken. Von Tassos Chalkias war selbst Benny Goodman fasziniert. Um 1960 war Goodman fassungslos: Er hörte Chalkias, eilte zu ihm und gratulierte ihm herzlich zu seinem grandiosen Spiel. Nikos Karakostas wurde 1881 in der Nähe von Trikala geboren. Sein Spiel war einfach, ohne unnötige Verzierungen. Er spielte alte Volkslieder und erweckte sie zu neuem Leben. Er starb am 27. Februar 1955 auf einem Karnevalsfest. Er hatte darum gebeten, folgende Inschrift auf seinen Grabstein zu schreiben: „Ich wurde arm geboren und werde arm sterben, aber Meraklís (Kenner, Genießer oder Lebenskünstler) muss auf mein Grab geschrieben werden.“


Petroloukas Halkias (Foto: Promo)



 Der Star: Petroloukas Halkias 

 

Petroloukas Halkias stammt aus dem Dorf Delvinaki in Pogoni, Epirus. Mit 26 Jahren zog es ihn mit seiner Frau nach Amerika, wo er schließlich  20 Jahre lebte. Als er zurückkehrte, war nichts mehr wie es gewesen war! Er beschrieb mit großer Emotion die authentischen Feste, die aber heute vom Aussterben bedroht sind: „Früher feierten die Leute mit den Ohren, heute feiern sie mehr mit den Augen.“ Bei großer Hingabe an die griechische Tradition scheut er sich nicht, mit indischen Musikern und afrikanischen Jazzmusikern oder mit jungen Popmusikern aufzutreten. Im Dezember 2021 spielte er mit Vasilis Kostas auf einem großartigen Griechenland-Festival in Paris. „Mein Vater wollte nicht, dass ich Musiker werde. Ab meinem 11. Lebensjahr hat er mich in einer Autowerkstatt arbeiten lassen. Der Klang der Klarinette floss durch mein Blut. Ich baute meine erste Klarinette aus dem Holz eines Baumes und begann, heimlich zu lernen.“ Im Alter von achtzehn Jahren heiratete er seine Frau Maria. „Auf der Hochzeitsfeier habe ich das Glas erhoben, um auf die Gesundheit meiner ersten Liebe zu trinken. Mein Schwiegervater starrte mich an. Um Missverständnissen vorzubeugen, gestand ich, was meine erste Liebe war und immer sein wird: die Klarinette.“  

 

 

Die Klarino bei den Olympischen Spielen in Berlin

 

Eine merkwürdige Geschichte spielte sich bei den Olympischen Spielen in Berlin ab. Hitler lud zu Propagandazwecken den legendären Olympioniken Spyros Louis und Mitsos Batzis aus dem Epirus ein. Batzis stammte aus einer großen Klarino-Dynastie und spielte als Vertreter Griechenlands im Stadion Klarinette. Als 1940 der Krieg ausbrach, meldete er sich und trat dem Unabhängigen Orden von Delvinaki bei. Sein unzertrennlicher Begleiter war seine Klarinette. Damit unterhielt

er seine Mitstreiter in den Stunden, in denen es keine Schlachten gab und begleitete alle getöteten Kameraden in ihre letzte Heimat. Das Schicksal war dem jungen Epiroten jedoch nicht gut gesonnen: Er kam im Krieg bei einem italienischen Bombenangriff ums Leben.


Manos Achalinotopoulos (Foto: Promo)



Turbulente Dorffeste und weitere Entwicklungen

 

Auf turbulenten Dorffesten, Panigýria (πανηγύρια), dominiert heutzutage oftmals die elektrisch verstärkte Klarinette, schrill und laut und mit Spezialeffekten künstlich aufgepäppelt. In diesem Spektakel hat das frivole Auge das sensible Ohr abgelöst. Die Menschen lassen sich mitreißen, tanzen ekstatisch frei, zu zweit oder im Kreis und haben bei Speis und Trank viel Spaß. Es kommt vor, dass dem Klarinettisten ein Geldschein ans Instrument gesteckt wird, um ihn wertzuschätzen oder um sich selbst als Hochstapler zu inszenieren. Aber der Hunger nach Authentizität ist groß, denn die Volksmusik kommt aus dem Volk und ist für das Volk: Auf übersichtlichen Dorffesten, in Tavernen im kleinen Kreis oder auch auf anspruchsvollen Kulturveranstaltungen werden noch Tradition und die alte Spielweise kultiviert.

 

Der Athener Manos Achalinotopoulos begann als kleiner Junge autodidaktisch mit dem Erlernen von Flöte und Klarinette. Er tritt weltweit auf Konzerten und großen Jazz Festivals auf. Bei der Eröffnungs- und Schlussfeier der Olympischen Sommerspiele 2004 in Athen spielte er mit seiner Klarinette Musik des berühmten griechischen Komponisten Mikis Theodorakis. Seit 2006 unterrichtet er traditionelle Klarinette am Institut für Musikwissenschaft und Kunst der Universität Makedonien.



Kitsos Harisiadis (Art by Robert Crumb)

 

 

Hörbeispiele:

 

Kitsos Harisiadis. Mit wunderschönen alten Fotos:    

https://www.youtube.com/watch?v=Y_sTkUlJGZU

 

Die jüngere Generation ist hier zu sehen,  u. a. mit Nikos Chalkias, die 6. Generation der Chalkias Familie: https://www.youtube.com/watch?v=nCz9yXTeE44&t=9s

 

 

Literaturtipp:

Rudolf Brandl: Ali Pasha und die Musik des Epiros. 2017. 568 Seiten

 

Spielplan der Dorffeste: 

https://zagoriview.com/panegyria/

 

Der Artikel erschien zuerst im Griechenland Journal, Juni 2023, Heft 10


Manos Achalinotopoulos & Alex Simu  beim Labyrinth Festival Catalunya - Cardedeu 19/04/2019 (youtube)




Apostolos Stamelos: "Ιτια", Greek Clarinet 78 RPM Record (youtube)


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