Jazz mit Haut und Haaren
Zum Tod der Touragentin Gabriele Kleinschmidt (1939 – 2023)
Gabriele Kleinschmidt im Gespräch mit Saxofonist Bernd Konrad (links)(Foto: Hans Kumpf)
Sie hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und mehr als 40 Jahre lang ihre eigene Touragentur betrieben. Durch ihre Initiative kamen viele Jazzgrößen der amerikanische Szene nach Europa – etliche davon aus der Avantgarde. Als Frau und Pionierin stach Gabriele Kleinschmidt in einer Branche heraus, die bis heute männlich dominiert ist, was sie allerdings kein bisschen schreckte. Gaby stand immer ihren Mann! Opfer-feministische Selbstbemitleidungen waren ihr fremd. Am Sonntag, den 30. Juli 2023, ist die rührige Jazzpromotorin aus Durchhausen im Schwarzwald im Alter von 84 Jahren verstorben.
Geboren 1939 in Möhringen an der Oberen Donau, machte Kleinschmidt in den 1950er Jahren eine Ausbildung zur Erzieherin in Freiburg. Der Vater war im Krieg gefallen, die Mutter starb bevor sie volljährig war. Nun musste sich Gaby mit ihrem Bruder gemeinsam durchbeißen. Sie heiratete früh, bekam 1961 einen Sohn. Nach dem frühen Tod ihres Mannes 1973 begann die Jazzbegeisterte Konzerte zu veranstalten und zu vermitteln, was 1974 zur Gründung der Agentur „Gabriele Kleinschmidt Promotions“ (GKP) führte.
1974 klingelte in der Jazzredaktion des Südwestfunks in Baden-Baden das Telefon. Am Apparat war eine junge Frau namens Gaby Kleinschmidt aus Möhringen im Schwarzwald, die sich als Managerin des amerikanischen Trompeters Hannibal Marvin Peterson vorstellte und den Redakteur Joachim Ernst Berendt für einen öffentlichen Konzertauftritt plus Radiomitschnitt gewinnen wollte. Berendt ließ sich überreden, und organisierte gleich noch eine Plattensession mit dem aufstrebenden Jazztrompeter und seinem „Sunrise Orchestra“ für das MPS-Label in Villingen. So begann eine intensive Zusammenarbeit mit Gaby Kleinschmidt, der Berendt immer wieder Kontakte vermittelte und mit Adressen aushalf. Das war der Beginn einer Zusammenarbeit zwischen SWF-Redakteur / MPS-Schallplattenproduzent und Tourneeagentin, die bis zur Schließung des MPS-Studios 1983 noch weitere Früchte trug. (Übrigens spielte die Gruppe von Hannibal bei dieser Tour auch in der Stadthalle in Sigmaringen).
Kleinschmidt war eher zufällig zur Konzertagentin geworden. Bei einem Konzert im Jazzclub Tuttlingen hatte sie den südafrikanischen Pianisten Dollar Brand kennengelernt, der damals in Zürich lebte. Schwer beeindruckt von seinem Township-Jazz, gelang es Kleinschmidt, Abdullah Ibrahim – wie er sich später nannte – ein paar Auftritte zu vermitteln. Bald klopften auch andere Musiker bei Kleinschmidt an, die nun täglich Stunden am Telefon hing, um Engagements überall in Deutschland an Land zu ziehen. „Die Telefonrechnung war zuvor so 80 bis 100 D-Mark pro Monat,“ erzählte mir Kleinschmidt vor ein paar Jahren. „Im ersten Monat als Jazzpromoterin dann plötzlich 800 D-Mark! Mein Bruder hat nur den Kopf geschüttelt: „Ja, bist du noch ganz bacha?“ (aus dem Schwäbischen übersetzt: „Hast Du sie noch alle?!") Und es ging immer höher. Ich musste Musiker anrufen, Flugtickets bezahlen, und hab‘ ja in dieser Zeit nichts verdient. Ich bin in Schulden reingekommen und hab' feste geackert und geackert.“
Es dauerte nicht lange, und Gaby Kleinschmidt war bald in ganz Europa aktiv. Festivals und Rundfunkkonzerte wurden mit den von ihr vertretenen Musikern beschickt. Doch bildeten die zahlreichen Jazzclubs vor allem in Südwestdeutschland (etwa in Villingen) weiterhin ein wichtiges Operationsfeld, weil man die Veranstalter dort persönlich kannte und kurzfristig und unkompliziert einen Gig ausmachen konnte.
Um eine Tournee mit einem Ensemble aus den USA finanziell überhaupt stemmen zu können, war eine Plattensession bei MPS, ein gut dotierter Festival- oder Rundfunkauftritt notwendig. Doch auch die kleinen Gagen aus den vielen Clubauftritte fielen ins Gewicht. „Ohne die wäre es nicht gegangen,“ bekräftige Kleinschmidt. „Man hat größere Sachen wie Rundfunk- oder Fernsehauftritte oder Festivals für die Wochenenden gebucht und unter der Woche Auftritte in kleineren Club.“
Gab es ein „Loch“ im Tourplan, ließ Gaby Kleinschmidt, um Hotelkosten zu sparen, die Musiker bei sich zuhause wohnen. Kleinschmidt erzählte, wie Perry Robinson von der Gunter Hampel Band jeden Morgen auf einen Baum im Garten kletterte, um dort im Zwiegespräch mit den Vögeln auf seiner Klarinette zu spielen. Im Dorf ging das natürlich nicht unbemerkt vonstatten und führte zu so manchem Hälserecken, wenn etwa der Afroamerikaner Cecil Taylor mit knallbuntem Schal morgens durch den Ort joggte. „Damals haben wir noch in Möhringen gewohnt, in einem alten, großen Haus mit viel Platz,“ so Kleinschmidt. „Anthony Braxton war mal mit seiner ganzen Band eine Woche da. Da kam ein Bekannter auf die Idee, in der ehemaligen Schule in Biesendorf ein Konzert zu veranstalten.“
Von Kleinschmidt vermittelt: das Gil Evans Orchestra (man beachte mit Dave Sanborn, as) bei einem 'Treffpunkt Jazz'-Konzert des SDR (Sammlung: C. Wagner)
Die Zeiten änderten sich. Die Gagen kletterten nach oben. Das Geschäft wurde professioneller, war nicht mehr so chaotisch wie in den 1970ern, aber auch nicht mehr so spontan und kühn-kreativ. Kleinschmidt wagte sich an teurere Künstler heran, vorausgesetzt, sie war von derer Musik begeistert. „Was Gaby noch mehr liebt als ihre Arbeit, ist die Musik“, lautete ein Ausspruch von Sun Ra. Um eine Tournee im vorab zu finanzieren, hat Kleinschmidt nicht nur einmal eine Hypothek auf ihr Wohnhaus aufgenommen, sonst hätte ihr die Bank keinen weiteren Kredit gegeben. Das war mit einem ungeheuren Risiko verbunden, aber Kleinschmidt schreckte, wenn es um Jazz ging, vor nichts zurück. Das voll auf Risiko gehen, der Musik wegen, kostete sie schlußendlich ihr Haus.
Gaby Kleinschmidt mit Ron Carter (Foto :Promo)
Allerdings brachte sie dadurch amerikanische Stars nach Europa. Die Liste ist lang: Miles Davis, Sun Ra, Dave Brubeck, Carla Bley, Gunter Hampel's (amerikanische) Galaxie Dream Band mit Perry Robinson, Jack Gregg und Jeanne Lee, Abbey Lincoln, Gil Evans Bigband, Archie Shepp, Hannibal Marvin Peterson, Don Cherry, Lester Bowie, Max Roach, Bobby McFerrin – you name it! Gaby Kleinschmidt hat sie alle über den Atlantik geholt.
Geldgier gepaart mit Hinterhältigkeit versauerten der Idealistin gelegentlich die Arbeit. Ornette Coleman z. B. forderte, kaum war er am Flughafen angekommen, die doppelte Gage, sonst würde er gleich wieder abreisen. Was sollte sie tun? Sie konnte doch nicht die ganze Tour platzen lassen? Kleinschmidt machte gute Miene zum bösen Spiel, rief ihre Bank an, um einen weiteren Kredit sicherzustellen und preiste einen Verlust durch die Tour ein. Solche Vorkommnisse bereiteten ihr so manche schlaflose Nacht und zahlreiche bittere Tränen. Manchmal war es zum schieren Verzweifeln.
Gaby Kleinschmidt mit dem Ron Carter Quartet (Foto: Promo)
Bis weit übers Rentenalter hinaus blieb Kleinschmidt aktiv. Neben den Tourneen – ihrer regulären Arbeit –, lud sie immer wieder zu Privatkonzerten ein, die sie in ihrem Wohnhaus in Durchhausen veranstaltete – mit einer wunderbaren Bewirtung der Gäste, die es an nichts fehlen ließ. Der Tod ihres zweiten Mannes, des englischen Jazzjounalisten und Pianisten Mike Hennessey, 2017 war ein schwerer Schlag für sie. Danach fuhr sie ihre Aktivitäten stark zurück.
In der Jazzszene wird man die draufgängerische und lebenslustige Gaby schwer vermissen. Ohne sie wäre meine musikalische Sozialisation (und die vieler anderer auch) anders verlaufen. Ihr Sohn Frank Kleinschmidt führt ihre Arbeit fort.
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