Wednesday 16 August 2023

SCHEIBENGERICHT 20: Jazz wie ein Gedicht von Rilke?

SCHEIBENGERICHT 20:  

Das Schöne als des Schrecklichen Anfang – das italienische Trio HIIT

HIIT-Trio (Foto: Promo)


4 von 5 Sterne

 

cw. Es beginnt so leise, dass man sich fragt, ob der CD-Player überhaupt läuft. Dann erklingt aus dem Nichts ein krachend lauter Schlag des gesamten Ensembles. Das Abspielgerät funktioniert also, und schon wird man hineingezogen in den Sog, den die Musik von HIIT entfaltet.

 

Man könnte meinen, dass nach Jahrzehnten der Evolution und des neuerlichen Booms des Jazzpianotrios, das Konzept ausgereizt sei. Pusteblume! Dem Trio des italienischen Pianisten Simone Quatrana, des portugiesischen Schlagzeugers Pedro Melo Alves und des italienischen Kontrabassisten Andrea Grossi gelingt es, aus der Dreierkonstellation neue Funken zu schlagen. Die drei kommen aus dem avantgardistischen Jazz und der experimentellen Musik, improvisieren allerdings nicht frei, sondern arbeiten mit Strukturen und kompositorischen Elementen, die Freiheit nur in einem genau abgesteckten Rahmen erlauben. 

 

„For Beauty is Nothing but the Beginning of Terror“ ist ein Album, das nach anderen Ausdrucksformen sucht und nicht alltägliche Klänge auf neue Weise miteinander kombiniert. Der Titel „Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang“ ist ein Zitat aus der ersten Duineser Elegie von Rainer Marie Rilke, der damit die Paradoxien menschlicher Existenz zum Ausdruck brachte, Gegensätzlichkeiten, die sich auch in der Musik von HIIT finden.



Das Album umfasst eine 40minütige Großkomposition, die sich suitenhaft aus zehn Stücken und vier kurzen Zwischenspielen zusammensetzt und im Ganzen einen inneren Zusammenhang offenbaren.  Kurze aufbrausende Interludes werden als Kontrastmittel zwischen die Kompositionen geschoben, woraus sich im Ganzen ein fein austariertes Spiel mit Texturen und Dynamiken ergibt. 

Dezidierte Klangfarben überlagern und vermischen sich, Klangschraffuren werden gegen Melodielinien gesetzt, Pointillismus in Kontrast zu Flächigkeit. Die Dynamik schlägt immer wieder ins Extreme aus und reicht von rabiat-laut bis zu kaum noch hörbar. Tastentriller und Tonkaskaden in den höchsten Lagen, scheppernde Metallbecken und dumpfe Trommelwirbel, dazu vogelhaftes Gezwitscher vom gestrichenen Baß – alles bündelt sich zu einem schimmernd-flirrenden Klanggeflecht, das sich immer wieder neu ordnet und manchmal an die „Player Pianos“ des Amerikaners Colon Nancorrow erinnert, ein ander Mal an die Zweiten Wiener Schule oder Cecil Taylor bzw. The Necks. 

HIIT - Concetto Spaziale (to Lucio Fontana) (youtube)

Der Gruppenklang steht im Vordergrund, Kontrast wirkt als dramaturgischen Mittel. Mit dem Sound wechseln Stimmung und Atmosphäre. Zu jedem Zeitpunkt agieren die drei Musiker auf gleicher Augenhöhe, es gibt keine Solisten und keine Begleiter. Niemand schert aus, niemand spielt sich in den Vordergrund. Die Musik hätte allerdings von einem feineren Klanggespür und größerer Präzision des Schlagzeugers profitiert. 

HIIT / Simone Quatrana, Piano / Andrea Grossi, Kontrabaß / Pedro Melo Alves, Schlagzeug & Perkussion: For Beauty is Nothing but the Beginning of Terror (Clean Feed) 

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