Tuesday, 12 September 2023

SCHEIBENGERICHT 22: Alexander Hawkins Trio

Vom Ausloten unbekannter Klangzonen

Das Alexander Hawkins Trio mit seinem Album "Carnival Celestial" 

 Alexander Hawkins (Foto: C.Wagner)

 

cw. Der englische Jazzmusiker und Komponist Alexander Hawkins ist als virtuoser Tasteninstrumentalist bekannt, der in seinem Trio nicht nur Piano, sondern auch Synthesizer spielt, dazu noch einen Sampler bedient, und das alles gleichzeitig mit größter Präzision und in souveräner Manier. 

 

Hawkins Pianospiel besitzt eine ambidextere Qualität, was bedeutet: man könnte meinen, es würden zwei Pianisten unabhängig von einander agieren, so eigenständig und kontrapunktisch spielt die linke Hand in den tieferen Regionen, im Unterschied zur rechten in den höheren Registern. Es macht auf einmal Sinn, wenn Hawkins erzählt, dass er mit Johann Sebastian Bach seine tägliche Übungsstunden bestreitet.

 

Seit einiger Zeit erlebt das Pianotrio ein Comeback im Jazz, doch schwebt Hawkins anderes vor. Dem 42jährigen aus der Universitätsstadt Oxford geht es weniger um die Erneuerung einer bestimmten Jazztradition, als um das Ausloten musikalisch unbekannter Zonen, die im Grenzbereich von modernem Jazz, experimenteller Musik, Minimalismus, avanciertem Rock, musique concrète und Electronica liegen. So ist das Hawkins Trio einerseits im Jazz verwurzelt, gleichzeitig zielt die Musik darüber hinaus, und läßt sich deshalb einer aktuellen Tendenz zurechnen, die unter dem Schlagwort „Post-Jazz“ firmiert.

 

Der Rhythmusgruppe aus Neil Charles (Baß) und Stephen Davis (Schlagzeug) kommt eine tragende Rolle zu. Ihr Spiel ist dicht und vorwärtstreibend, wobei der Groove oft eher einem Puls gleicht, der unter dem Klangschleier von Metallbecken und Trommelfellen pocht. 

 


 

Ein paar Stücke weiter, und die beiden schlagen ganz andere Töne an. Da wird dann ein Baßriff von Kontrabaß und Synthesizer loop-artig wiederholt und von einem staubtrockenen Drumbeat unterlegt, der dem motorischen Trommelspiel des Can-Drummer Jaki Liebezeit alle Ehre gemacht hätte. 

 

Solche Ostinati legen die Basis für weitausgreifende Pianoimprovisationen, die sich über elektronischen Einwürfen oder knisternd-knirschenden Geräuschfeldern in ekstatische Höhen schrauben, um dann plötzlich, ganz jäh und unvermittelt einfach abzureißen, als ob jemand den Stecker der Bandmaschine gezogen hätte. Eine solche Praxis bricht mit jeder Konvention, und ist nicht die einzige Tabuverletzung, die Hawkins unternimmt, um aus Komponenten des musikalischen Baukastens der Moderne, einen hybriden Stil zu kreieren, der voller Eigenheiten und Überraschungen steckt. 

 

Alexander Hawkins Trio: Carnival Celestial (Intakt Records)

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