Buchbesprechung:
Über Minimalismus
cw. Wenn es in den Black Hills von South Dakota ein Mount Rushmore National Memorial der Minimal Music geben würde, wären dort anstatt der vier Köpfe der amerikanischen Präsidenten, wohl LaMonte Young, Terry Riley, Steve Reich und Philip Glass in den Fels gemeißelt. Diese vier legten in den 1960er Jahren das Fundament für eine musikalische Revolution, die, angeregt durch die monochromen Gemälde eines Robert Rauschenberg oder Ellsworth Kelly, mit Reduktion und Repetition arbeitete. Es wurde auf Melodien und Akkordprogression verzichtet und mit Drones, Pattern und Loops einen Kontrapunkt zur klassischen Musik westlicher Provinienz gesetzt. „Musik als gradueller Prozeß“, so hat Steve Reich das Wesensmerkmal der Minimal Music umschrieben, während andere von „Trance Music“ sprachen, zu der psychedelische Drogen in der Anfangsphase ihren Teil beitrugen.
Bei genauerer Inspektion läßt sich die Strömung nicht auf die vier Gründungsväter reduzieren, vielmehr handelt es sich um eine weitverzweigten Bewegung, die sich anfangs aus unterschiedlichen Quellen speiste. Neben der Musik des Mittelalters (etwa des Kanons) wirkten Einflüsse aus dem Osten (besonders Indien) sowie aus Afrika. Mit der Zeit entstand eine Vielfalt unterschiedlichster minimalistischer Individualstile, wie sie von Pauline Oliveros, John Adams, Julius Eastman, Michael Nyman, Rhys Chatham, Éliane Radigue oder Meredith Monk verkörpert wurden. Oft ging die Minimal Music mit anderen Musikstile originelle Verbindungen ein, ob mit New Age, Ambient Music oder Konzeptkunst, experimentellen oder elektronischen Klängen. Selbst die Rockmusik oder der modale Jazz atmeten gelegentlich den Geist des Minimalismus.
In der Gegenwart hat der Stil im Post-Minimalismus eine Fortentwicklung erfahren, aber auch in anderen musikalischen Gattungen Spuren hinterlassen, selbst in der aktuellen Popmusik, wo die elektronische Clubmusik die minimalistische Grundidee noch radikalisiert hat. Kerry O’Brien und William Robin legen mit „On Minimalism – Documenting a Musical Movement“ eine 450 Seiten starke Publikation vor, die die Ambition hat, die Geschichte der minimalistischen Bewegung in ihrer ganzen Breite und Vielfalt darzustellen. Das Buch ist als Materialband angelegt. Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen, kompetenten Einleitung. Daran schließt sich der eigentliche Dokumentarteil an, der Interviews, Manifeste, Zeitungsartikel, Deklarationen, Programmhefttexte, Schallplattenbesprechungen oder Cover-Texte umfaßen kann. Sie erlauben dem Leser ein Eintauchen in die Debatten der Vergangenheit und fördern längst vergessene Kontroversen, Einschätzungen und kritische Einwände zu Tage. So entsteht aus der so vielfältigen wie reichhaltigen Textesammlung eine Geschichte der Minimal Music, die noch einmal deutlich macht, wie verschieden sie doch von der westlichen Kunstmusik ist.
Kerry O’Brien / William Robin: On Minimalism – Documenting a Musical Movement. University of California Press; Oakland, California 2023. 450 Seiten. Euro 34,75
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