Thursday, 1 November 2018

Jazztrends: Manfred Kniels neuster Streich

Magische Beschwörung

Der Stuttgarter Schlagzeuger Manfred Kniel geht im Jazz neue Wege

Foto: Manuel Wagner

cw. Manfred Kniel ist das Enfant terrible der südwestdeutschen Jazzszene. Der Komponist und Schlagzeuger bürstet den Jazz gegen den Strich. Seit Jahren brütet der ehemalige Dozent an der Stuttgarter Musikhochschule immer wieder neue Projekte aus, die über die improvisierte Musik hinausgehen und trotzdem darin verwurzelt sind. Mit dem Schlagwort „Post-Jazz“ hat die Kritik diesen innovativen Trend auf den Punkt gebracht. Gerade ist ein neues Album von Kniel erschienen, das ebenfalls in diese Richtung weist. Kniel bricht nicht zum ersten Mal in seiner Karriere in musikalisches Neuland auf.
                                                                                                                           Foto: Martin Wagner
Seine Sporen verdiente Manfred Kniel in den 1970er Jahren bei der Frederic Rabold Crew und später beim Jazz Inspiration Orchestra, die beide damals zu den profiliertesten Jazzensembles der bundesdeutschen Szene zählten. Danach saß er im Quartett der Sängerin Lauren Newton auf dem Schlagzeug-Stuhl, wo er mit dem amerikanischen Vibrafonisten David Friedman zusammenspielte. Schon damals zeichnete sich Kniel durch große Virtuosität und eine humorvolle Exzentrik aus, Eigenschaften, die er bis heute beibehalten hat. 

Als Komponist wie auch als Drummer ist Kniel ein Meister der Verknappung. Von der Vielspielerei, der gedankenlosen Erzeugung einer Masse von Tönen, hält er nichts. „Reduktion!” lautet die Devise. Anstatt einen Wust an Noten zu spielen, orientiert er sich lieber am Motto „weniger ist mehr“. Kniel nimmt sich zurück, agiert mit Klarheit und Überblick. Sein jüngstes Werk namens „S.O.S.-Suite“ (erschienen bei Nytingale Records) ist ganz nach diesem Muster gestrickt. Transparente Kompositionen, stringent-logisch konstruiert, bestimmen das Album. Die Stücke wirken dennoch nicht überladen, obwohl fünf Musiker an der Einspielung beteiligt waren. 

Als Ausgangspunkt wählte Kniel ein paar wenige Bausteine, die auf dem S.O.S.-Morsecode beruhen: dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz! Aus dieser Formel formte der Drummer einen 5/4-Takt, der als rhythmische Basis die Grundlage für jede der fünf Kompositionen bildet. Die Stücke strotzen vor Originalität und sind bis ins letzte Detail durchdacht und ausnotiert. Nur an genau ausgewiesenen Stellen wird der Improvisation Raum gegeben, die Ekkehard Rössle auf dem Saxofon und Keyboarder Hans Joachim Irmler in expressiver Weise nutzen. Während Rössle mit schlanken, singbaren Linien die Melodiekürzel der jeweiligen Komposition aufgreift und weiterspinnt, bringt Irmler – ehemaliger Keyboarder der Krautrock-Gruppe Faust – mit harschen Sounds Spurenelemente von Noise und Industrial ins Spiel. Die Sängerin Denise Taylor belebt mit dadaistischer Lautsprache das Geschehen, fügt den Kompositionen mit vokaler Finesse eine zusätzliche Klangfarbe hinzu. Dabei klingen die Liedverse manchmal wie Zaubersprüche einer magischen Beschwörung. 
Kniels musikalisches Universum ist Lichtjahre von den Gepflogenheiten des konventionellen Jazz entfernt, weil der Schlagzeuger auf beeindruckende Weise das macht, von dem viele Musiker nur reden. Kniel hat über die Jahre einen völlig eigenständigen Personalstil entwickelt, der all die Routinen und Klichees umgeht, die heute den Jazz gelegentlich etwas verbraucht erscheinen lassen. Sein Konzept könnte als Frischzellenkur für die improvisierte Musik taugen! 

Manfred Kniel: S.O.S.-Suite (Nytingale Records)

Bezug über: records@nytingalemusic.de

Mehr Infos:
http://christophwagnermusic.blogspot.com/2013/03/jazztrends-fifty-fifty-strategien-der.html

Auf SWR2 in der Sendung RADIOPHON – MUSIKCOLLAGEN am Donnerstag, 29. November 2018 (21:03 - 22:00) ist ein Titel aus der S.O.S.-Suite von Manfred Kniel zu hören.

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