Gebhard Ullmann & Das Kondensat auf dem Weg zu anderen Planeten
cw. Selbst im Alter von 65 Jahren ist Saxofonist, Komponist und Bandleader Gebhard Ullmann noch in Entdeckerlaune. Mit seinem Trio Das Kondensat hat er in den letzten Jahren an einer Musik gefeilt, die die alte Jazz-Avantgarde hinter sich läßt und musikalisches Neuland erkundet. Dem Berliner Saxofonisten mit engen Verbindungen nach New York spuken sphärenhafte Klänge im Kopf herum, die er mit Eric Schaefer (Schlagzeug und Synthesizer), Oliver Potratz am elektronisch entgrenzten Bass und der amerikanischen Gastmusikerin Liz Kosack, die Keyboards spielt, in Szene setzt.
Klassische Jazzimprovisationen – ob total frei oder harmonisch-rhythmisch gebunden – finden sich nur noch in kleinen Partikeln in dieser von der Elektronik bestimmten Musik wieder, die sich in gleichen Teilen aus Kraut- und Progrock, Dub, Musique Concrète, Ambient und Minimal Music speist, wobei auch Miles Davis‘ elektrische Phase und die Canterbury Szene nicht weit entfernt sind.
Das Album beginnt mit elegischen Klangflächen, über die Ullmann lange Saxofontöne legt, die mit viel Hall den Raum ausfüllen und echohaft zurückhallen. Danach gibt ein staubtrockener, beinharter Rockbeat die Richtung vor, der sich seinen Weg durch eine blubbernde und knisternde „soundscape“ bahnt, wobei der Schlagzeugrhythmus wie von Zauberhand unmerklich entsynchronisiert wird, das heißt: sich verschiebt, verdoppelt und verdreifacht, was in einem fast schwindelerregenden Strudel mündet. Im anschließenden Stück taucht die Band in die Klangwelt des Post-Rock ein, wie er in den 1990er Jahren von der Chicagoer Formation Tortoise gespielt wurde, wobei sich ineinander verwobene Improvisationen zu einem reißenden Sog bündeln, der von der kraftvollen Rhythmusgruppe aus Eric Schaefer und Oliver Potratz noch weiter befeuert wird.
In dreizehn derart kompakten Titeln mit zwischen zwei und sieben Minuten Länge präsentieren die vier einen abwechslungsreiche Stilmix ganz auf der Höhe der Zeit, der sich nur noch in kleinen Teilen auf die Jazztradition bezieht, dagegen mit einem wahrhaft universellen Ohr alles einfängt, was neu und frisch klingt, und es auf originelle Weise vermischt und kombiniert. Das Kondensat bewegt sich mit „Andere Planeten“ im aufregenden Terrain des Post-Jazz, wobei man gespannt sein darf, wohin die Reise (und die Neugierde) Ullmann und seine Mitspieler noch führen wird.
Das Kondensat – Andere Planeten (WhyPlayJazz WPJ061)
DAS KONDENSAT - Dubbing with guy (live im Bayerischen Rundfunk, 2019) youtube
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