Wednesday, 12 July 2023

Konzertreview: THE COMET IS COMING & DAISY DICKINSON

Milchstraßenmusik

The Comet Is Coming & Daisy Dickinson beim Manchester International Festival

'Live'-Fotos: christoph wagner



cw. Seit ungefähr zehn Jahren versucht die Industriemetropole Manchester in Nordengland, weltbekannt durch ihre beiden Fußballclubs, auf dem Feld der Kultur zu punkten. Dafür wurde das „Manchester International Festival“ (MIF) ins Leben gerufen, dass jedes Jahr im Sommer für ein paar Wochen mit exquisiten Großveranstaltungen zwischen Pop und Hochkultur für internationale Aufmerksamkeit sorgen soll. Jede Veranstaltung ist einmalig, d.h. hier wird keine Kultur von der Stange geboten, sondern das MIF kreiert spezielle Events oft multimedialen Zuschnitts. Dahinter steckt viel viel Geld!

 

Das geht so: Gestern Abend, wir schreiben den 12. Juli 2023, stand die Formation The Comet Is Coming auf dem Programm. Die Band aus London, die sich in den letzten Jahren mit ihrem Techno-Jazz in die internationale Konzert-Superliga gespielt hat, präsentierte keinen normalen Auftritt, sondern wurde mit der Videokünstlerin und Filmemacherin Daisy Dickinson gepaart, um ein musikalisch-visuelles Klangereignis zu schaffen, das unter dem Titel „Hyper-Dimensional Expasion Beam“ firmierte und nur an diesem einen Abend zu hören und zu sehen war (plus im Somerset House in London). 


 

Das Experiment gelang: „The Hall“ des speziell für das MIF geschaffenen Veranstaltungsorts Factory International / Aviva Studios war mit ca. 2000 Zuschauer nahezu ausverkauft, und zwar mit Fans von ziemlich jung bis ziemlich alt, was für eine Band, die mit Jazzelementen spielt, heutzutage schon bemerkenswert ist. Welche andere Gruppe aus dem Segment Jazz bringt so viel Publikum auf die Beine?  

 

Allerdings haben die drei Musiker die Jazzkonventionen weit hinter sich gelassen. Ihre Musik ist ein Mix aus Techno, Heavy Metal, Brötzmann & Ayler-Saxofon und kosmischen Sounds, der nach den Sternen greift und jeder Rave-Party gut zu Gesicht stehen würde. Die Lautstärke pendelt sich auf Rockkonzert-Level ein, der Sound ist leider (!!!) nur passabel (das Schlagzeug zu leise bzw. Keyboards und Sax zu laut), wobei die Band von Beginn an aufs Ganze geht. Kurze abgehackte Riffs des Tenorsaxofons verschmelzen mit elektronischen Staccato-Sounds aus Techno und Rave, die von einem hämmernden Schlagzeug vorangetrieben werden. 



Danalogue (Dan Leavers) an diversen Synthesizern ist der eigentliche Einpeitscher der Gruppe. Seine pumpenden Techno-Beats machen den Kern und die Wucht der Musik aus, während Shabaka Hutchings heißere Kurzphrasen auf dem Tenor bläst, die mit viel "reverb" aufgepeppelt jedesmal wie eine "hookline" wirken, und Betamax (Maxwell Hallett) für den knackigen Groove sorgt. 


Jedem Musiker wird ein längerer Solopart zugestanden, der bei Danalogue in kosmische Sphären führt, die an Tangerine Dream erinnern, während Hutchings in seinem Solo auf Blastechniken eines Evan Parkers zurückgreift, um komplexe rhythmisch-melodische Ton-Pattern zu kreieren, bei denen sich mehrere Melodielinien kreuzen. Und das Schlagzeug-Solo ist halt ein Schlagzeug-Solo mit viel Bumm, Bäng und Knall. 

 


Die Visuals von Daisy Dickinson machen Eindruck. Sie sind vorproduziert, erlauben jedoch, interaktiv auf Stimmung und Atmosphäre zu reagieren, weshalb Klang und Bild ziemlich synchron laufen. Zuerst meint man in einem Raumschiff durch kosmische Sphären zu gleiten, dann kommt Farbe ins Spiel und vielerlei geometrische Figuren, die sich drehen, multiplizieren, reduzieren, auf und ab schweben, die verfremdet und umgestaltet werden. Eine fantasievolle Visualisierung dieser kosmischen Dance-Music zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Insgesamt: ein eindrücklicher Abend einer Band, von der es heißt, dass sie sich zum Jahresende auflösen wird. Schade! Der Komet kommt nicht, er geht!    


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