Ein Blick zurück:
Die VERICHROME TULIPS
Indierock der 1980er Jahre aus Stuttgart
SIMON STEINER erinnert an seinen Bandleader Michael Schill
"Indie" lautete das Schlagwort – sich möglichst unabhängig geben. Eine Alternative zu den großen Plattenfirmen war das kleine Label Syndicate records, der übersichtliche Vertrieb nannte sich EFA. Das Indie-Label veröffentlichte unsere selbst produzierte LP LAC LEMAN, die von Klaus Scharf im Studio „basement“ 1987 aufgenommen wurde. Das kleine selbstgebaute Studio befand sich im Keller von Schlagzeuger Winnie Rau, in dessen Musikkaufhaus Schrill in der Tübinger Straße in Stuttgart. Das Kaufhaus Schrill war damals Mitte 80er, die Szenelocation für Musiker. Hier traf man sich um neue Instrumente und Equipment zu bestaunen, einzukaufen, aber auch nur um zu schwätzen und Neuigkeiten auszutauschen.Unser Bandleader, Komponist, Texter und Gitarrist Michael Schill, leider früh, 2021 verstorben, kümmerte sich um alles. Er lieferte ständig neue Stücke, die wir im Proberaum fleißig übten. Die Proben verliefen nicht gerade lässig, sondern sehr zielorientiert. Schill war ehrgeizig, nachdem sich sein letztes Projekt Shot Light Blue auflöste. Unter „Indie“ stellte ich mir etwas anderes vor, lockerer, experimenteller und deshalb griff ich als ausgebildeter Saxofonist und Klarinettist auch zum Bass, etwas ausprobieren. Irene Minges setzte sparsam zärtliche Pianotupfer und sang leise, rücksichtsvoll, charmant. Winnie versuchte sich am Schlagzeug und Schills Gitarre klang meist verzerrt, schräg, sein spröder Gesang anklagend. Und tatsächlich, unsere Kassette, die Schill liebevoll gestaltete, klang „Indie“, ungeschliffen, zart, schräg, ein Hauch von Velvet Underground.

Weltschmerz, tragisches Verliebtsein schimmerten durch Schills Texte und so klang schließlich auch der Tulips-Sound: melancholisch, düster und zerbrechlich. Eine romantische Fotosession am Bärensee oder ein Bad im Tulpenmeer wählte Schill als „unsere“ Band-Motive.
Wir spielten z.B. in der Röhre in Stuttgart, groß in der Presse angekündigt als Geheimtipp und dann auch in der Stuttgarter Presse reichlich besprochen, teils gelobt, teils kritisiert, da angeblich unprofessionell, „Indie“ eben, was ja genau unser Anliegen war. Im Schwimmbad in Heidelberg mit den Briten The Pastels spielten wir erfolgreich, in der Rätschenmühle Geislingen erfuhren wir Anerkennung, wir spielten in vielen damaligen Indie-Hochburgen und auch in Balingen auf einem Festival (mit The Blech)..
Zurück zu unserer LP LAC LEMAN, unserem Tulips Album, aufklappbar mit einem bunten Gemälde Schills. Ich finde, es war sehr ernsthaft produziert, sehr geschliffen, Schill wechselte die Urbesetzung teils aus und zuletzt führten überflüssige Umbesetzungen zu einem Rock-lastigen Auftritt im legendären MAXIM am Stuttgarter Wilhelmsplatz. Wo war jetzt die sanfte Klarinette oder der süße Gesang von Irene, unser eigentlicher Indie-Sound, wenn „die Gitarre alles zermalmte“, wie in der Presse kritisiert?
Schill: Maler, Fotograf und Musiker, von Beruf Grafik Designer
Ich erinnere mich sehr gerne an Schills Verichrome Tulips-Plakat, eigenwillig im Quer-Format mit verspieltem Schriftzug, seine Gemälde, seine großen wilden Malereien. Seine Galerie in der Libanonstraße, auch ein weiterer Versuch, von kurzer Dauer. Ich erinnere mich an seine Fotoreihe „New York“, die mir sein Vater schenkte, unseren spontanen Ausflug ins Elsass, unsere Biere im Libero in der Olgastraße, später, 2008 noch mein Saxofon in seinem homestudio in der Liststraße ... und so vieles mehr. Er besuchte mich oft in meiner Wohnung in der Rosenbergstraße und wir hörten Platten oder er überreichte mir ein riesengroßes Gemälde, sagenhaft ein selbst gebauter fetter toller Rahmen, es zeigt die legendäre Tangente Bar, die sich gegenüber der Liederhalle befand.
Wir beide hatten vor, für eine Güterbahnhof-Jubiläumsfete Verichrome Tulips-Songs beizusteuern. Michael Schill war nämlich in den 90er Jahren dabei, im legendären Güterbahnhof, unserer Bahnwärterkantine hinterm Stuttgarter Bahnhof, bei unzähligen Sessions, Ausstellungen und Parties. Ach, wie wir da gemeinsam feierten und tobten, sein Humor, was haben wir gelacht.
Eine Wiedergeburt erfahren Schills Kompositionen, die er vor vielen Jahren mit Dieter Fuchs aufnahm: Dieter spielt aktuell einige Songs von damals, „foxxxmachine spielt Schill: Ein modernisierter Trip in den Stuttgarter Underground der 80er und 90er Jahre“, live als Support der Stuttgarter Postpunk Band HERZ RHYTHMUS MASCHINE.
Schills Bilder und seine Musik leben weiter und viele weitere Schätze von Micha sind bei seinen Eltern, die wir regelmäßig besuchen, in besten Händen. Und was mir nun noch einfiel, bei all der Kritik: Respekt verdient sein Talent schon, das muss man einfach sagen, ein großer Teil seiner Kompositionen sind Ohrwürmer, kleine Hits, charmante Songs, auch härtere Songs, es gelang Schill, den Tulips einen unverwechselbaren Stil zu geben. Und wir zogen eine Zeit lang alle mit.
Manche sprechen mich noch heute auf einzelne Songs an, die sie immer noch gerne hören.
Ruhe in Frieden Schill.