Tuesday, 27 May 2025

Ich glotz' TV: 2. British Rock Meeting 1972 im Fernsehen

Das deutsche Woodstock revisited

 2. British Rock Meeting 1972 im Fernsehen

Erst war sie auf ARTE zu sehen und jetzt auch im SWR-Fernsehen: Die äußerst sehenswerte Doku von Katarina Schickling über das 2. British Rock Meeting in der Nähe von Germersheim – Pfingsten 1972. 100 000 Besucher und ich war dabei !!

"Das Deutsche Woodstock – Flower-Power in der Pfalz" 

SWR Fernsehen  Do, 29. Mai 2025 

Rheinland-Pfalz 18:45 

Baden-Württemberg 19:00 

Jetzt in der ARD-Mediathek:

https://www.ardmediathek.de/video/unsere-geschichte/das-deutsche-woodstock-flower-power-in-der-pfalz/swr-bw/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIyNDI4MjE

Foto: Manfred Rinderspacher

Curved Air war die Band in Germersheim, die das Festival am Pfingstdienstagmorgen 1972 beendete. Es war eine der Gruppen, wegen denen mein Kumpel Bernhard Schuler und ich zu dem Festival gepilgert sind. Nach drei Tagen fast ohne Schlaf überfiel Bernhard eine bleierne Müdigkeit, die so überwältigend war, dass er den Auftritt von Curved Air schlafend verpasste. Ich versuchte ihn noch wach zu rütteln, doch da war nichts mehr zu machen.  

Mehr Infos: https://christophwagnermusic.blogspot.com/2022/06/pfingsten-1972-2-british-rock-meeting.html


Rock-Archäologie: Lindau-Popfestival 1973

Lindau-Popfestival 1973

Fernsehmitschnitt von den Scorpions, Atlantis, Guru Guru, Rattles und Subject Esq.

Nicht nur in den Metropolen, auch vielerorten in der Provinz machte sich die Rockrevolte in den 1970er Jahren bemerkbar, wie diese Ankündigung von einem Fernseh-Mitschnitt eines Popfestivals mit westdeutschen Rockbands in Lindau am Bodensee zeigt. Miche Hepp, der die äußerst empfehlenswerte website 'Hinterland – Musikmagazin für Oberschwaben und überall' betreibt – https://www.hinterland-rocks.de/ – hat mir diesen Zeitschriftenausschnitt aus der BRAVO zukommen lassen. 


Sunday, 25 May 2025

Anthony Braxton wird 80

Spiritueller Jazz 


Am 4. Juni 2025 wird der Komponist, Jazzsaxofonist und Bandleader Anthony Braxton 80 Jahre alt. Vor 20 Jahren habe ich ihn in London zu seinem 60. Geburtstag interviewt, ein Gespräch über Kreativität versus Orthodoxie, Musik als spirituelle Suche und die Aktualität der sechziger Jahre, das auch heute noch relevant erscheint  


Foto: Hans Kumpf




Anthony Braxton zählt zu den markantesten und schillernsten Figuren des zeitgenössischen Jazz. Als Mitglied der Creative Construction Company (mit Leroy Jenkins und Leo Smith) und von Circle (mit Chick Corea), mit seinem bahnbrechenden Soloalbum für Altsaxofon von 1968, seinem Duett mit Max Roach und vor allem seinen eigenen Ensembles und Großformationen hat er es unternommen, “den Raum der Musik neu zu definieren” (Braxton). Er hat dabei der Jazzentwicklung entscheidende Impulse gegeben, was ihn in den 1970er Jahren zum Star der Avantgarde machte mit einem Plattenvertrag bei einem Major-Label. 


1945 in einem Arbeiterhaushalt auf der schwarzen South Side von Chicago geboren, war Braxton immer ein Sonderling, der nicht das tat, was alle machten. Während die Jungs seines Viertels herumhingen und die Nachbarschaft unsicher machten, saß er daheim und brütete über Schachpartien oder übte Saxofon. Später wurde er zu einer führenden Figur der Chicagoer Musikerorganisation AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians), einem Selbsthilfenetzwerk, zu dem sich zahlreiche schwarzen Musiker des neuen Jazz in Chicago zusammenschlossen. Danach leitete er über Jahre seine eigenen Formationen, zu denen u. a. George Lewis, John Lindberg, Marilyn Crispell, Gerry Hemingway, Kenny Wheeler, Dave Holland, Barry Altschul, Mark Dresser, Ray Anderson und Mark Helias gehörten. Mitte der 1980er Jahre wurde es etwas ruhiger um Braxton, als er eine Lehrtätigkeit am Mills College an der Universität von Berkeley, Kalifornien annahm. Lange war er ordentlicher Professor an der Wesleyan Universität in Middletown, Connecticut. Aus seiner "Schule" sind Musiker und Musikerinnen der jüngeren Generation wie Taylor Ho Bynum oder Mary Halvorson hervorgegangen.



Mitte der sechziger Jahre wurden Sie Mitglied der Musikerselbsthilfeorganisation AACM. Wie kam es dazu?


Anthony Braxton: Als ich 1966 aus der Armee entlassen wurde, ging ich zurück nach Chicago. Ich war erst einen Tag daheim, da erzählte mir mein Cousin, der das einzige Familienmitglied war, der sich für meine Art von Musik interessierte, daß er von einer Gruppe von Musikern gehört hätte, die mich vielleicht interessieren könnten. Sie würden im Lincoln Centre in Chicago Konzerte geben und er empfahl mir, einmal hinzugehen. Ich fragte nach den Namen der Musiker und er erwähnte Roscoe Mitchell, was ein Zufall war, weil ich mit Roscoe Mitchell zur Schule gegangen war. Er hatte mir damals schon imponiert. Ich besuchte also ein Konzert des Maurice McIntyre Quintets, wobei die zweite Hälfte vom Muhal Richard Abrams Sextet bestritten wurde. Roscoe Mitchell war da, ebenso Henry Threadgill, den ich ebenfalls kannte, weil wir den gleichen Musiklehrer hatten. Er saß an der Kasse. Sie luden mich zu einer Probe der Experimental Band ein. Ich ging hin, womit meine Mitgliedschaft in der AACM begann.


Die Experimental Band gilt als die Urzelle des Avantgarde-Jazz in Chicago. Wie liefen die Proben ab?


AB: Man spielte hauptsächlich Kompositionen von Muhal Richard Abrams, was mir die Möglichkeit bot, erstmals ernsthaft in zeitgenössischen Jazz einzutauchen. Schon allein neben Musiker wie Roscoe Mitchell, Joseph Jarman und Henry Threadgill zu sitzen, war inspirierend. Ich traf dort viele fantastische Musiker. Es war wunderbar. Sie waren nicht an Standards interessiert oder ob man das Bebop-Repertoire beherrschte, der Schwerpunkt lag auf eigenen Kompositionen. Wichtig war, daß man sich voll einbrachte, daß man die Sache ernsthaft betrieb, regelmäßig zu den Proben erschien. 

Ich hatte nach meiner Zeit bei der Armee das Gefühl, technisch mein Instrument gut zu beherrschen. Ich konnte komplexe Stücke vom Blatt spielen. Ich merkte aber, daß Roscoe Mitchell und Henry Threadgill schon viel weiter waren auf dem Weg, eigenständige Musikerpersönlichkeiten zu werden. Ich dagegen steckte noch in den Anfängen meiner Identitätsfindung als Musiker. Deshalb war es so inspirierend, in dieser Band zu spielen. Die Übergangsphase war  extrem kurz: ich kam von der Armee heim und eine Woche später war ich schon Mitglied der AACM.


Foto: Hans Kumpf




War die Experimental Band ein eher offenes Ensemble mit fluktuierender Besetzung?


AB: Nicht wirklich. Man konnte nicht einfach aufkreuzen. Es war vielmehr ein bewußter Versuch eine Plattform zu schaffen für Musik, die über Sun Ra und Albert Ayler hinausging. Engstirnige Traditionalisten wären da fehl am Platze gewesen. Es war eine Gemeinschaft von Musikern, die sich gegenseitig unterstützten.  Es gab einen Zusammenhalt durch die neuen Ideen. Wir hatten das Gefühl, das die 60er Jahre eine wichtige Periode war und die Musik von Cecil Taylor, Sun Ra und Ornette Coleman bedeutsam. Auf deren Errungenschaften wollten wir aufbauen. Diese Meinung wurde vom Gros der Jazzfans nicht geteilt. Ich habe Auftritte von John Coltrane erlebt, wo das Publikum in Scharen den Saal verließ. Heute schätzt jeder John Coltrane, damals war das anders. 

Für einen Musiker wie mich, der Avantgarde-Musik spielen wollten, war das eine schwierige Entscheidung, auch eine politische. Die AACM half mir bei dieser Entscheidung, weil sie eine Gemeinschaft von Musikern bildete, die sich gegenseitig ermunterten. Man organisierte seine eigenen Konzerte, um die Musik in die Öffentlichkeit zu tragen. An einem Tag war ich der Kartenabreißer bei Henry Threadgills Konzert, am nächsten Tag saß Joseph Jarman bei mir an der Kasse. So funktionierte das! Es war ein wunderbares spirituelles Erlebnis und eine Bestätigung meiner Vision von der wachsender Wichtigkeit kreativer Musik. Ich wollte nicht einfach ein Unterhalter sein, der nach Erfolg schielte. Meine Musik sollte spirituell wirken. Wir waren uns klar darüber, daß mit dieser Musik kaum Geld zu verdienen sei. Die Begegnung mit der AACM war entscheidend, mir über all diese Punkte klar zu werden.        


Die AACM war nicht nur eine Musikerorganisation. Die Zielvorstellungen reichten weiter? 


AB: Ganz genau. Ich wurde mir durch die AACM vieler Dinge bewußt. Welche Verbindung gibt es etwa zur afrikanischen Musik. Ich interessierte mich damals ebenfalls für die Musik von Arnold Schönberg und Karlheinz Stockhausen, John Cage and Iannis Xenakis. Dieses Interesse wurde nicht von allen in der AACM geteilt. Doch herrschte dort eine offene geistige Atmosphäre. Es gab keine Parteilinie. Man mußte nicht den Standpunkt der Organisation vertreten, weil es ihn nicht gab. Im Gegenteil: man wurde ermuntert, aus der  individuellen Erfahrung heraus seinen eigenen Weg zu finden, weshalb auch niemand in der AACM die gleiche Musik machte. Alle suchten ihren individuellen Weg. 

Diese Haltung steht der Auffassung von Wynton Marsalis und Freunden diametral entgegen, die stilistisch festzulegen versuchten, was Jazz sei.  Nicht, daß in der AACM nicht über Musik diskutiert wurde. Es gab dauernd Debatten, ob über Musik, Politik, Spiritualität oder neue Bücher, die man gelesen hatte. 

Zudem wurde großen Wert darauf gelegt, positiv in der eigenen Community zu wirken. Eine Musikschule wurde eingerichtet. Man ging zu den Kindern heim, sprach mit den Eltern und fuhr die Kleinen dann zum Unterricht ins Lincoln Centre, wo auch in Gruppen  musiziert wurde. Dann wurden sie wieder nach Hause gebracht.  Das war eine wunderbare Initiative und trug viel zur politischen Bewußtwerdung bei. All das waren wichtige Erfahrungen für mich. 


Stimmt es, daß sie Schwierigkeiten bekamen, weil ihre Musik von einigen afro-amerikanischen Musikerkollegen als zu weiß attackiert wurde? 


AB: Das Problem existierte bereits, bevor es die AACM gab. Ich hatte immer Schwierigkeiten mit Leuten mit einer afro-zentristischen Sichtweise. Für mich kam eine solche Perspektive überhaupt nicht in Frage. Das wäre der Gipfel der Verlogenheit gewesen, weil ich nie einen natürliche Aversion gegenüber europäischer Musik empfunden habe. Nein, das genaue Gegenteil war der Fall.  Ich war immer an beidem interessiert - Afrika und Europa -, was für mich kein Widerspruch darstellte. Allerdings kam meine Position ins Kreuzfeuer, als die politischen Spannungen zwischen weiß und schwarz in den 60er Jahren eskalierten. Mein ganzes Leben lang beeinträchtigten diese Probleme  die Rezeption meines Werks.        


Gibt es eine Verbindung zwischen dem afro-zentristischen Standpunkt der 60er Jahre und dem neo-konservativen Diskurs der 90er Jahren, wo der Jazz ja auch als spezifisch schwarze Musik definiert und festgeschrieben werden sollte?


AB: Ja, trauerigerweise. Damals wurde von den schwarzen Nationalisten in den USA alles Afrikanische gefeiert und alles Europäische verdammt. Ähnliche Positionen dringen in der aktuellen Debatte wieder durch. Das ist blanker Rassismus, der aber nicht als Rassismus erkannt wird. In Amerika konnten die Konservativen nur die Oberhand gewinnen, weil die Anführer der afro-amerikanischen Bevölkerung sich vom Konzept der Liebe abgewandt haben und auf Abgrenzung setzten. Anstatt die eigene Überlegenheit zu proklamieren und auf alles Europäischen herabzuschauen, wäre es nötig gewesen, eine intellektuelle Position zu entwickeln, die nicht abgrenzt und ausgrenzt, sondern vereint und auf globaler Ebene alle einbezieht. Es kann doch nicht richtig sein,  den Rassismus der Weißen einfach umzudrehen. 

Ähnliches gilt für den Femininmus und andere linke Bewegungen, deren Versagen dafür verantwortlich ist, daß Geoge W. Bush an die Macht kam. Die Linke war seit den 60ern nicht in der Lage, eine Vision zu entwickeln, die alle vereint hätte, sondern man grenzte sich von einander ab. Was die Afro-Amerikaner betrifft,  ist das alles verständlich, angesichts ihrer lange Geschichten der Unterdrückung. Dennoch ändert es nichts an der Tatsache, daß es ein gewaltiger Fehler war. 

Die Zeiten haben sich geändert. Die Zustände sind nicht mehr wie vor 50 Jahren. Eine der Hauptforderungen der 60er Jahre lautete, daß das weißen Amerika sich ändern müsse. Klar, daß war einen richtige Forderung, die aber nicht weit genug ging. Auch das afro-amerikanische Amerika hätte sich wandeln müssen. Daß das nicht gesehen wurde, war ein Versagen, eine verpaßte Gelegenheit. Es wurde gesagt, alle müssen sich ändern, nur wir nicht. Hier liegt der Hund begraben. 


Foto: Hans Kumpf





Wie würden sie ihre eigene Position beschreiben?


AB: Ich fühle mich als Grenzgänger. Meine Erfahrungen habe ich immer dazwischen gemacht:  Zwischen der weißen und schwarzen Bevölkerung, zwischen europäischen und afro-amerikanischen Traditionen, zwischen Jazz und der klassischen Musik. Als junger Mann befand ich mich plötzlich zwischen allen Stühlen, was mir sehr zusetzte. Mittlerweile bin ich es gewohnt. Ich hab an meiner Position festgehalten, auch wenn man mich ausgrenzte.

Heute bin ich glücklich, Teil einer Bewegung zu sein, die Neues erkundet. Früher grenzte sich jeder von jedem ab, was mich nicht davon abhielt,  mich mit allem, was mich interessierte, zu beschäftigen, auch auf die Gefahr hin, daß man mich für wahnsinning hielt. Wo sie anderen Unterschiede ausmachten und sich distanzierten, sah ich Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte. 


Wie haben Sie den Aufstieg des Neo-Konservatismus im Jazz der 90er Jahre erlebt?      


AB: Als sich die neo-klassischen Vorstellungen formierten, war mir klar, daß es sich hierbei um einen Bewegung handelte, die von der alten Machtstruktur eingesetzt worden waren, um eine Nische für die afro-amerikanische Bevölkerung zu schaffen. Bebop-Musiker wurden dabei zu Stars gemacht,  die dieser Ideologie entsprachen und eine rückwärtsgewandte Position vertraten, die ethnozentrisch war. Jazz wurde einzig und allein als Musik der Afroamerikaner definiert, wobei das europäischen Element geleugnet wurden. Es wurde gesagt, daß Lennie Tristanos Musik nichts mit Jazz zu tun hätte, was mich traurig stimmt. So wird jeder, der etwas Eigenständiges versucht, ausgeschlossen. Die Neo-Konservativen haben Jazz als ein abgeschlossenes Idiom definiert, nicht als eine dynamische Entwicklung, ein kreativer und spiritueller Prozess der Selbstbewußtwerdung, geleitet vom Gedanken der Universalität. Sie verwandelten Jazz in ein Museum. Ich dagegen bin an kreativer Musik interessiert. Sie wollten Jazz spielen wie Miles Davis oder wie John Coltrane, wobei vergessen wurde, daß vor Coltrane und Davis niemand so spielte. In der Ästhetik der AACM, wurde Wert darauf gelegt, nicht nur seinen eigenen Weg zu finden, sondern auch seinen eigenen Ton, sein eigenes Wertesystem, weil Jazz für uns mehr war, als eine eindimensionale Angelegenheit. Die Musik besaß eine spirituelle Dimension . 


Foto: Hans Kumpf





Wie man hört, ist der kreative Jazz momentan in den USA wieder im Kommen vor allem bei jungen Leuten. Können sie diese Erfahrung bestätigen?


AB: Das ist für mich schwierig zu beurteilen, weil ich in Amerika fast keine Auftritte habe. Allerdings habe ich von Freunden Ähnliches gehört. Doch muß ich gleich einen Einwand machen: Wenn wir dabei von Freejazz sprechen, erscheint mir dieser Stil genauso statisch wie der neo-klassische Jazz. Hier hat sich ebenfalls eine Orthodoxie breit gemacht, die nicht mehr neugierig ist. Das hat mich der Jazzwelt entfremdet und ich würde mich heute nicht mehr als Jazzmusiker bezeichnen. Ich sehe mich als einen professionellen Studenten von Musik, aller Musik. Ich will Neues lernen und neue Ideen entwickeln.


An was für Projekten arbeiten sie im Moment?


AB: Ich verfeinere mein dreidimensionales System von Strategien weiter, bei dem Komposition, Improvisation und diverse Wahlmöglichkeiten komplexe Verbindungen eingehen und das es erlaubt, daß sich innerhalb der Gruppe immer neue spotane Untergruppierungen und Konstellationen bilden. Es ist wie eine Landkarte, wo die geographischen Punkte, die man ansteuern will, festgelegt sind, der Weg dorthin offen. Signale und Zeichen spielen eine wichtige Rolle und jeder einzelne Musiker folgt seinem eigenen Kompaß. Es gibt unendlich viele Optionen. Dafür brauche ich Musiker, die der technischen Herausforderung gewachsen sind, die an Musikstilen aus der ganzen Welt interessiert sind, die ernsthaft und diszipliniert arbeiten. Sie müssen gleichzeitig offen sein für Xenakis, Jelly Roll Morton, John Philip Sousa. Benjamin Britten, Paul Desmond und Polka-Musik. Meine Bandmitglieder sind Virtuosen auf ihren Instrumenten, Komponisten eigener Werke und Bandleader ihrer eigenen Gruppen.

Darüber hinaus bin ich an elektronisch interaktiver Musik interessiert. 

Ich hoffe, daß meine Musik etwas zum neu erwachenden Spiritualismus beitragen kann, der gegen die Machtstrukturen der alten Eliten und der multinationalen Konzerne im Entstehen ist. Ich entwickle laufend mein Musiksystem weiter, an dem ich seit 40 Jahre arbeite. Es hat mir nie mehr Freude bereitet als heute. Ich fühle, daß Musik ein fantastisches Geschenk ist, und ich bin dankbar am Leben zu sein und glücklich, daß ich eine Arbeit tun kann, die mir am Herzen liegt.     


Hörimpulse:


Anthony Braxton / Andrew Cyrille: Vol. 1+ 2 (Intakt, www.intaktrec.ch)  


Anthony Braxton / Wadada Leo Smith: Saturn, Conjunct the Grand Canyon in a Sweet Embrace (PI Recordings, www.pirecordings.com) 


Anthony Braxton & Milo Fine: Shadow Company (Emanem, www.emanemdisc.com)


Anthony Braxton: 23 Standards (Quartett) 2003. 4 CDs (Leo Records, www.leorecords.com)


Anthony Braxton Ninetet: (Yoshi's) 1997, Composition N 211 +212, Vol. 3 (Leo Records, www.leorecords.com)


Braxton / Szabados / Tarasov:  Triotone (Leo Records, www.leorecords.com)



  

Saturday, 17 May 2025

Die Yardbirds und Cecil Taylor im selben Konzert

Die Einheit des Underground

In den späten 1960er Jahren, als der Underground noch eine Einheit bildete, kamen in Konzerten oft recht unterschiedliche Stile zum Tragen, ob Rock, Folk, Jazz, Psychedelic usw. Den Konzertbesuchern konnte man das zumuten. Sie waren offen für vieles. Bei den Konzerten im Fillmore West in San Francisco kam es dabei zu den erstaunlichsten Begegnungen, wie ein Plakat belegt, das ein Konzert der englischen Band THE YARDBIRDS (featuring Jeff Beck & Jimmy Page) mit der US-amerikanischen Band IT'S A BEAUTIFUL DAY ankündigt. Als Dritter im Bunde wird der Jazz-Avantgardist CECIL TAYLOR aufgeführt, einer der Väter des freien Jazz. 


Ich erinnere mich an eine ähnliche Konzert-Konstellation in der Turn- und Festhalle in meiner Heimatstadt Balingen 1971, als BRIAN AUGER'S OBLIVION ESPRESS mit ihrem heißen Acid-Jazzrock im Konzert mit der Karlsruher Gruppe FOURMENONLY (Flügelhorn: Herbert Joos) auftrat, einem der raren, hartgesottenen Freejazz-Ensemble damals, was nicht unbedingt auf reine Gegenliebe vonseiten des Publikums stieß, sondern eher ein paar konstanierte Konzertbesucher zurückließ. Wenn man heute die Musik sowohl von Brian Auger (mit dem Meistergitarristen Jim Mullen) als auch von FourMenOnly, die davor unter den Namen Modern Jazz Quintet Karlsruhe firmierten, wiederhört, erstaunt, wie frisch und wenig gealtert das alles klingt, obwohl es inzwischen mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt. 


Modern Jazz Quintet Karlsruhe / FourMenOnly: Complete Recordings (Ausschnitt) youtube

Brian Auger's Oblivion Express 'live', 1971 at The Roundhouse (youtube)


Monday, 12 May 2025

SCHEIBENGERICHT Nr. 42: Daniel Erdmann’s Orgeltrio

Organic Soulfood für die Ohren 

Die Orgel ist ein fülliges Instrument. Mit ihrem runden voluminösen Klang kann sie musikalische Räume ausfüllen, nicht nur in der Barockmusik, wo sie im Basso Continuo hervorragende Dienste leistet. Auch im Jazz der 1950 Jahre hat im damalig populären Orgeltrio die Hammond B-3 eine herausragende Rolle gespielt.


Allerdings: Was in den 1950er Jahren als letzter Schrei galt, hört sich heute oft weniger aufregend an. Das Orgeljazztrio, wie es Jimmy Smith und andere verkörperten, ist ein solches Bandformat, das schlecht gealtert ist und über die Jahre rapide an Attraktivität verloren hat. 


Bandleader und Saxofonist Daniel Erdmann hat sich vorgenommen, das mit seinem Organic Soulfood-Trio zu ändern. Er knüpft dabei an Entwicklungen an, wie sie Larry Young (alias Khalid Yasin) von der Tony Williams Lifetime, aber auch progressive Rockgruppen wie Egg, in den Siebzigern unternahmen, um den Sound des Orgeltrios auf die Höhe der Zeit zu bringen, woran Medeski Martin & Wood später anknüpften.


Mit einem Bein in der Vergangenheit, mit dem anderen in der Gegenwart kreiert Erdmann’s Organic Soulfood eine Musik, die sich ihrer Souljazz-Herkunft bewußt ist und doch darauf abzielt, neue Funken aus diesem klassischen Jazzformat zu schlagen. 


Jede der acht Kompositionen ist genau durchdacht, wobei jeweils ein anderer Ton angeschlagen wird, der Elemente aus Jazz, Rock, Latin und Funk auf unterschiedliche Weise und in verschiedenen Dosierungen mischt. 



Erdmann brilliert auf dem Tenor- und Sopransaxofon mit klaren Phrasen und sprudelnder Energie, während Drummer Jim Hart im Groove-Spiel die größte Wirkung entfaltet, aber auch in gedämpften Passagen mit den Besen umzugehen weiß. Die Orgel von Antonin Rayon, der auch Synthesizer spielt, sorgt für einen vollen Sound und wartet in den Improvisationen mit bunt schillernden oder funkelnden Tönen auf. Das klingt aufregend und frisch und haucht einem scheinbar antiquierten Bandformat neues Leben ein.


Daniel Erdmann’s Organic Soulfood: Into The Sweet Unknown (BMC Records) 

Saturday, 10 May 2025

SCHEIBENGERICHT Nr. 41: Crispell / Andersson / Østergaard-Nielsen – The Cave

Jazz wie ein Choral

Das Trio  Crispell / Andersson / Østergaard-Nielsen



Aus historischen Gründen leiden Drummer bisweilen an einem Minderwertigkeitskomplex, den sie durch Hyper-Virtuosität und Hochgeschwindigkeit zu kompensieren versuchen. Michala Østergaard-Nielsen ist keine derartige Schlagzeugerin – im Gegenteil. Die Dänin, die in einem Dorf außerhalb von Kopenhagen wohnt und seit längerem auf der skandinavischen Jazzszene aktiv ist, steht für eine radikale Zurückgenommenheit und begreift sich eher als Komponistin, der es zuvörderst um ihre Kompositionen geht und nicht um Trommelartistik. 


Hörimpuls:




Es dauert dann auch mehr als drei Minuten, bevor im Auftaktstück des Debutalbums ihres Trios mit Marilyn Crispell (Piano) und Thommy Andersson (Baß) überhaupt erst sachte Tupfer vom Schlagzeug zu vernehmen sind. Die Komposition The Cave wird vom Klavier getragen und besteht aus sparsam gesetzten Tönen und Akkorden, die eher an einen Kirchenchoral erinnern als an Jazz. Und dieses Stück setzt den Ton. Der anschließende Titel beginnt mit einem noch leiseren Zirpen auf den Pianosaiten, dem sich eine Meditation auf dem Baß anschließt. Eine derartig sensible Musizierweise durchzieht nahezu das gesamte Album, abgesehen von einer freien Ensemble-Improvisationen, bei der es in gewohnt heftiger Freejazzmanier zur Sache geht, was bei einer solch versonnenen Grundstimmung eher als störend empfunden wird. 

 Crispell / Andersson / Østergaard-Nielsen – The Cave (ILK Music)

Simon Steiner über JASON SEIZER: Jazzmusiker, Veranstalter, Produzent

GASTBEITRAG von SIMON STEINER:  


Jason Seizer - ein Leben als Jazzmusiker, Veranstalter und Produzent

 vlnr: Fabian Arends, Jonas Westergaard, Jason Seizer, Pablo Held (Foto: Jakob Stolz)


Ich fahre die Cannstatter Straße entlang, von Bad Cannstatt nach Stuttgart. Der Blitz kennt mich und ich schleiche wie alle Fahrzeuge brave 40 km/h, zum Zerreißen langweilig. Jason Seizers Modern Jazz CD Vertigo (Label Pirouet, 2020, Liveaufnahme im Studio 2 des Bayerischen Rundfunks) läuft, seine achte CD: romantisch, zärtlich gehauchtes Tenorsaxofon, plötzlich explodiert Jasons Kanne. Erst spitz und frech, in höchsten Tönen markerschütternd, nun abgrundtief. Zu jedem Atemzug verändern sich die Klangfarben. Jason zieht in dem Stück The Movie Suite alle Register, danach improvisiert das Jason Seizer Quartett das Vertigo Love Theme aus Hitchcocks Thriller frei und gefühlvoll dem Ende entgegen.

Jason Seizer, geboren 1964 in Stuttgart, sah ich erstmals 1984 im Bunker am Wilhelmsplatz Stuttgart. Wir probten mit Biznis Biznis, einer Stuttgarter Band mit Jazzanklängen. Jason war von meinem Saxofon angetan, ich lud ihn ein und spielte ihm John Coltranes LP Ballads vor. Wir kauften in der Buchhandlung Wittwer am Schlossplatz Biografien von Charlie Parker, John Coltrane und Miles Davis, wir stöberten in meiner Notenschule von Oliver Nelson und ich erzählte ihm von der Jazzstadt Stuttgart, meiner Jugend, langen Nächten im Publikum oder sogar auf der Bühne, als Teen, in Clubs wie dem "Atlantik" in der Büchsenstraße, später Berliner Platz, Hahnenhof oder Braunschweigers Jazzclubs am Rotebühlplatz. Eine neue Welt eröffnete sich ihm, er besorgte sich Charlie Parker Platten, die er in seinem VW Käfer auf Kassette hörte und wurde ganz verrückt danach, sein Verlangen schien grenzenlos. Er kaufte sich ein Sax, schloss sich in den Bunker ein und spielte wenige Wochen später auf dem Sommerfest der Kunstakademie seinen Parker und seinen Coltrane. Weitere Auftritte auf Partys und Jazzclubs folgten. Der Gig mit der Band Shot Light Blue, als Vorgruppe vor der New Yorker Fakejazz Band Lounge Lizards im Feuerwehrhaus Heslach bleibt Vielen in Erinnerung. Unvergesslich für mich: Wie er in einem himmelblauen Leinenanzug im L'Aleph als Gast bei der Szeneformation "Jazzbandneger" auftaucht. Dank eines Freundes, der 1984 das Moers Jazz Festival besucht hatte, war ich immer auf dem Laufenden. Von ihm bekam ich immer die besten Schallplattentipps, die ich wiederum Jason vorspielte. Julius Arthur Hemphill, die Scheibe hieß Georgia Blue, sie haute uns vom Hocker. Jason lieh sich die Platte aus, ich glaube für immer. In der Bar EXIL stand er am Flipper, er war der Beste und so erhielt er seinen Spitznamen nach dem Protagonisten eines Pinball-Films, der immer den High-Score holte. "Ich habe das gar nicht als Spitznamen empfunden, es war wie eine neue, zweite "Identität", schreibt Christian Otto Seizer per sms. Seinem Hund gab er den Namen Monk. Nach Thelonious Monk, dem unkonventionellen Jazzpianisten.


Jason ist "Blockflötenfan", seit dem Kindergarten bis zum Abitur vollbrachte er als ehrgeiziger Flötenschüler - angespornt von seinen Eltern - Höchstleistungen aber belegte im Landeswettbewerb nur den dritten Platz. Auf dem Heimweg wurde im Auto geschwiegen, seine Eltern und auch er waren enttäuscht. In der Jury saß auch mein Vater Luis Steiner, Leiter der Stuttgarter Musikschule und Gründer von "Jugend musiziert". Nachdem Jason von der Blockflöte zur Querflöte wechselte fiel ihm der Umstieg aufs Sax nicht schwer. Autodidakt Jason suchte den Kontakt zu Stuttgarter Jazzgrößen wie Frederic Rabold, er erkannte in Saxofonist Ekkehard Rössle einen Gleichgesinnten und mit ihm zog es Jason schließlich nach München, um bei Jürgen Seefelder Unterricht zu nehmen. Ein Wohnungstausch mit einer Münchnerin war praktisch: Jason ließ sich in der bayrischen Landeshauptstadt nieder. "In München ging‘s dann richtig los, unter eigenem Namen, das war im Herbst 1988, ich wurde in der Szene aktiv!" erzählt Jason Seizer. 1990 bis 1994 studierte er in Hilversum Saxofon. Wir hielten Kontakt und trafen uns zwischendurch im Jazzclub "Rogers Kiste". Jason redete holländisch. Prägend war sein Aufenthalt in New York im Frühjahr 1994: "Ein Flash! Unterricht bei Joe Lovano, von ihm habe ich ewig gezehrt, bekannte Jazzstücke, das war selbstverständlich, in allen Tonarten zu spielen. Wie man einen Ton bildet, beginnt und beendet." Die warmen Klangfarben und der Atemfluss, daran arbeitet Jason unaufhörlich. Er spielt ein Holzmundstück. Weite Öffnung und hohe Blattstärke erinnern an Trane, an John Coltrane.

Jason Seizer Quartet auf dem Jazzfest München 2020 (youtube)

"Als Jazzmusiker kann man leben", betont Jason im Gespräch, "man muss dafür etwas tun, denn nur 5 Prozent sind Talent, der Rest ist Üben, Arbeit, möglichst ohne Druck aber mit viel Geduld." Die Konkurrenz ist groß. "Früher gab es im deutschsprachigen Raum drei Hochschulen mit dem Studiengang Jazz, heutzutage 27 allein in Deutschland!" Jason nennt sich free lancer. Er übernimmt allerlei Aufgaben:

Als CD-Verkäufer in einer Jazzabteilung, 1989 als Roadmanager für den Jazzbassisten Buster Williams, als Saxofonlehrer und als freier Saxofonist in Bigbands oder auf Hochzeiten, er hat alles in den 90ern ausgeschöpft. Er leitete von Januar 2000 bis Dezember 2001 den Münchner Jazzclub Unterfahrt. "Ich hab alles gemacht, außer Bierverkauf, 90 Stundenwoche!"

2003 gründete er mit dem Münchner Kaufmann Ralph Bürklin das Label Pirouet Records. Nun als Produzent und Toningenieur tätig, etabliert er es als eines der wichtigsten Jazz-Independent-Labels Europas mit internationalem Portfolio. "Bei der Labelarbeit, insbesondere während der Aufnahme im Studio geht es darum, eine gute Umgebung und Atmosphäre für die Musiker zu schaffen, um den musikalischen Prozess an sich. Und Warten können ist wichtig. Warten im Sinne von Sergiu Celibidache der einmal gesagt haben soll: Musik kann man nicht machen, Musik passiert."

Von 2013 bis 2016 präsentiert Jason den Jazz Salon auf der Kleinkunstbühne Heppel & Ettlich, zwei Freaks aus der alten Schwabinger Szene und in einer Weinhandlung veranstaltet er die Reihe Wein & Jazz. 2020 und 2023 veranstaltete Jason in Eigenregie das dreitägige Münchner Jazzfestival Muctones "Musik im Wohnzimmer". Diese Wohnzimmeratmosphäre gefällt ihm, "Leute zusammenbringen", das ist sein Anliegen. "2026 vielleicht wieder". Seit 2015 spielt er in seinem aktuellen Quartett, in Clubs, auf Festivals und Tourneen. Kontinuität und warme Atmosphäre zeichnen die Vier aus. Am Piano sitzt Pablo Held, am Schlagzeug Fabian Arends, Bass spielt Jonas Westergaard. Nicht Perfektion, sondern Wege erproben und Freundschaft stehen im Vordergrund. Eine neue CD ist in Aussicht, Balladen sollen es sein.

 Aktuell übernahm Jason, der bisher bereits 180 Alben aufgenommen und abgemischt hatte das Studio Kyberg, in dem er bereits als Produzent und Tonmeister arbeitete, einen "open creative space. Dieser Raum ist ein Instrument!" freut er sich. Für Aufnahmen, Konzerte, für Live-Aufzeichnungen, für eigene Projekte. "Das ist schon verrückt, heute produziert jeder zu Hause am Laptop und wir haben einen ganzen Raum von 80 Quadratmeter! Ich will Menschen verbinden", betont er noch einmal und das glaubt man der reifen Persönlichkeit aufs Wort.

 An ein Erlebnis im Jazzclub Bix in Stuttgart erinnert sich Jason: Im Jahr 2008, da stand ihm einfach eine blöde Mikrofonkiste auf der Bühne im Weg, irgendwie kam ihm so Manches seltsam vor: Damit waren Auftritte in Stuttgart erst einmal erledigt. Aber er kommt regelmäßig nach Stuttgart, bringt seine Neuerscheinungen vorbei, mal grillen wir einen Oktopus oder sitzen nur herum. In meinem Punkbuch über Stuttgart kommt er auch vor, denn er spielte tatsächlich mit Mitschülern aus dem Karlsgymnasium in so ner Art Punkband, frühe 80er. Ich glaube, dass Stuttgart immer noch Heimatgefühle in Jason weckt. Bald sieht man sich in Stuttgart wieder. Jason auf der Bühne, Solo, im Duo oder Trio. Oder mit seinem aktuellen Quartett.

 

Simon Steiner ist freier Autor. Er schrieb das Buch "Wie der Punk nach Stuttgart kam" (edition-randgruppe) und zahlreiche Artikel über seine griechische Lieblingsmusik Rembetiko, die er mit Klaus Pfeiffer und Gästen auch live spielt. Er arbeitete als Lehrer, Lehrerausbilder und im Bereich Sprachförderung für das Jugendamt Stuttgart.

 

Seizers Studio:

www.kyberg-studio.de

Seizers label:

www.pirouet.de

homepage:

www.jasonseizer.com