Klagelied gegen das Verbrechen
Günter Sommers musikalisches Versöhnungsprojekt
Foto: Tobias Sommer
von Christoph Wagner
Vor vier Jahren war der ostdeutsche Jazzdrummer
Günter Baby Sommer nach Griechenland zu einem Schlagzeug-Festival eingeladen.
Bei der Ankunft in der kleine Ortschaft Kommeno, am Südrand des Epirus gelegen,
erfuhr er von einem Massaker, das am 16. August 1943 von der deutschen
Wehrmacht hier verübt worden war. Wegen einer vermeintlichen Unterstützung von
Partisanen war die fast gesamte Bevölkerung des Dorfs massakriert worden, über
300 Menschen vom Säugling bis zum Greis.
Sommer war so geschockt, dass er beschloss,
sofort wieder abzureisen. Nach reiflicher Überlegung revidierte er seinen Entschluß
und blieb. Er sprach mit Überlebenden und Hinterbliebenen, Menschen, die oft
ihre ganze Familie durch das Massaker verloren hatten. Er sammelte
Informationen und Eindrücke. “Ich ließ die Menschen reden und hörte zu. Zuhören
war das einzige, was ich tun konnte”, erinnert sich Sommer. “Eine immense
Last.”
Die Idee reifte, das Verbrechen zum Inhalt
eines musikalischen Projekts zu machen: Kunst als Medium zur Auseinandersetzung
mit einer grauenhaften Geschichte, einer Vergangenheit, die nicht vergehen
will, vielleicht auch als Versöhnungsgeste nach 65 Jahren.
Der Dresdener Schlagwerker stellte ein Ensemble
mit griechischen Musikern zusammen. Er konnte Jazzimprovisatoren wie den vorzüglichen
Klarinettisten Floros Floridis für das Vorhaben gewinnen. Auch Musiker der
traditionellen Musik klinkten sich ein, etwa der Saitenvirtuose Evgenios
Voulgaris, der die Yayli Tanbur spielt, ein orientalisches Streichinstrument
mit klagendem Ton. Songs wurden komponiert, Stücke entworfen, wobei eine Musik entstand,
die die Brücke zwischen Jazz und griechischer Volkmusik schlägt.
Ein Stück, “Andartes” (=Partisanen) mit Namen,
ist den Widerstandskämpfern gegen die deutschen Besatzer gewidmet. Aus einem
Trommelsolo von Sommer schält sich ein markanter Rhythmus mit getragener
Melodie heraus, die von verschiedenen Instrumentalisten zu einer größeren
Erzählung weitergesponnen wird.
Ein anderer Titel “Children Song” ruft die ermordeten
Kinder des Massakers in Erinnerung. Unter den Opfern waren 97 Jugendliche unter
15 Jahren, 42 Kinder, 29 Kleinkinder und 13 Säuglinge. Das Stück rückt den
Gesang von Savina Yannatou in den Mittelpunkt, um den sich zuerst dichte
Schlagmustern der Marimba entfalten. Danach kommt verstärkt die Laute Oud ins
Spiel, um mit Trillern das Drama der Melodie noch zu steigern.
Im Zentrum des Albums steht ein 18-minütiger
Epos mit dem Titel “Marias Miroloi”. Ihm liegt der Klanggesang von Maria Lapri
zugrunde, einer Überlebenden, die in dem Lied die schrecklichen Ereignisse noch
einmal Revue passieren läßt. Bei einem Besuch hatte Günter Sommer ihr Klanglied
aufgenommen, das jetzt collagenhaft in die Komposition eingeblendet wird,
nachdem zuvor die gestrichene Laute für eine trauernde Stimmung gesorgt hatte. Dieses
Lamento wird schlagartig von einem vehementen Freejazz-Aufschrei abgelöst - ein
Ausdruck von tiefstem Schmerz, Wut und Trauer.
In der Ausstattung läßt das Album keine
Wünschen offen. Es wird begleitet von
einem 150-seitigen Booklet, das dreisprachig (englisch, deutsch, griechisch)
und in ausführlicher Manier den historischen Kontext erläutert und Sommers Erfahrungen
rekapituliert. Musik kann keine Wunden heilen, schon gar nicht begangenes Unrecht
wiedergutmachen. Doch vielleicht kann sie dazu betragen, die Erinnerung an die
Gräuel wach zu halten, um so die Sensibilität für derartige Verbrechen gegen
die Menschlichkeit zu schärfen. Dann hätte sie ihren Zweck erfüllt.
Günter Baby Sommer: Songs for Kommeno (Intakt)
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