Cecil Taylors eruptiver Jazz
Im Herbst hätte der 83jährige Freejazzpianist zu Konzerten nach Deutschland kommen sollen. Er war auch für die Manufaktur in Schorndorf gebucht. Jetzt hat er alle Auftritte abgesagt.
von Christoph Wagner
Ich glaube, im März bin ich ihm zufällig in New York begegnet. Auf dem Broadway in Downtown Manhattan ging ein älterer schwarzer Herr mit Rastazöpfen, Sonnenbrille und nobler Kleidung an uns vorbei, der seltsame Worte vor sich hinraunte - Zauberformeln gleich. Erst als wir schon weiter gegangen waren, fiel mir plötzlich ein: Das könnte Cecil Taylor gewesen sein.
Gewissenhaft
bereitet sich Taylor auf jedes Konzert vor. Schon Tage zuvor absolviert er ein
rigoroses Übungsprogramm. Was dann folgt, ist die Attacke eines Karatekämpfers.
Mit Intensität sausen die Hände auf die Tasten nieder und schleudern dissonante
Akkorde, wuchtige Cluster und wilde Tonkaskaden hervor. Mit Fäusten, Ellbogen
und Unterarmen bearbeitet er das Klavier. Cecil Taylors hebt den Jazz aus den
Angeln. Das macht ihn zur umstrittensten Figur des Genres.
“Meine
Mitmusiker packten schnell ihre Instrumente ein, als er eines Nachts nach einem
Gig auftauchte,“ erinnert sich Schlagzeuger Sunny Murray an seine erste
Begegnung mit dem Pianisten im Jahr 1959. “Sie sagten: ‘Das ist ein Verrückter
- völlig durchgedreht!‘” Murray ließ sich nicht beirren und musizierte spontan
mit dem Fremden, der ihn ziemlich aus dem Konzept brachte. “Ich hörte
mittendrin einfach auf, so irritiert war ich.”
Die
Begegnung mit Cecil Taylor markierte einen Wendepunkt in Murrays Karriere,
stellte der Pianist doch alle Konventionen des Jazz in Frage. Bei ihm gab es
weder einen swingenden Ryhthmus noch fortschreitende Akkordwechsel, keine
Themen, keine Soli - nichts! Nur das wilde Durcheinander freier Improvisation.
Doch je tiefer Murray in Taylors Klangwelt eintauchte, desto logischer kam sie
ihm vor. “Seine Musik ist nicht chaotisch, sondern entlang eigener Parameter
sorgfältig konstruiert und voller Rhythmus,” erläutert der Schlagwerker. Konzertbesucher
sahen das anders. Manche warfen auf der Flucht nach draußen Tische und Gläser
um, während Kritiker erklärten, “daß jeder mit einem Vorschlaghammer zu
ähnlichen Ergebissen kommen könne.”
Hätten
es nicht auch Zuspruch gegeben, wäre Taylor vielleicht ausgestiegen. “Zum erstes
Clubgastspiel im New Yorker Five Spot kamen zur Eröffnungsnacht alle: John
Coltrane, Eric Dolphy und Charles Mingus”, erzählt er. “Das gab uns Auftrieb,
weil wir spürten, daß wir uns in die richtige Richtung bewegten.”
Solche
Ermutigungen war hoch willkommen im zermürbenden Kampf um Akzeptanz und
Auftritte. Kein Jazzclub wollte den Publikumsschreck engagieren. Kleine Cafes
im East Village waren die einzigen Orte, wo sein Ensemble gelegentlich
auftreten konnte. Auch Künstler und Fotografen stellten ihre Studios zur
Verfügung. Aber mehr als ein paar Dollar warf das nicht ab. Um seine Musik in
die Öffentlichkeit zu bringen, veranstaltete Taylor Privatkonzerte spätnachts
in seiner Dachwohnung in Lower Manhattan. Als Drinks bot er den Besuchern
Wasser an. Manchmal spielte er vor einer Handvoll Zuhörer, manchmal nur für
sich alleine.
Mit
fortschreitendem Alter hat seine Musik an Variationsbreite gewonnen. Ob solo
oder im Quartett klingt nun zwischen dem
eruptiven Powerplay auch lyrisches Spiel an, kurze Blues- und Bebop-Phrasen,
ein nachhallender Akkord, eine kleine Melodie. Damit gewinnt sein Stil wieder etwas von der luftige Qualität zurück, die sie Mitte der 50er Jahre besaß, als sich Taylor aus Bebop
und Hardbop in freies Terrain vortastete. Damals war er ein 25-jähriger Niemand
und Außenseiter. Heute gilt er als eine der bedeutensten
Musikerpersönlichkeiten der Gegenwart. Dazwischen liegen mehr als ein halbes Jahrhundert
gegen den Strom schwimmen.
Veröffentlichungen:
Cecil
Taylor Quartet: Incarnation. FMP CD 123
( http://www.fmp-label.de)
Cecil
Taylor - The Willisau Concert. Intakt CD 072 (www.intaktrec.ch)
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