Bruder Yusef
Jazzvisionär Yusef Lateef
von Christoph Wagner
Der Multiinstrumentalist Yusef Lateef ist einer der letzten Überlebenden einer Generation von Musikern, deren Karriere noch in den 50er Jahren begann, als Bebop und Hardbop den Jazz bestimmten. Lateef, der als William Evans aufwuchs, war zeitlebens ein Avantgardist, der über den Rahmen der Jazztradition hinausging und andere musikalische Stilformen einbezog.
In den fünfziger Jahren konvertierte Lateef zum Islam und trat der reformerischen Ahmadiyya Gemeinde bei, die ihren Ursprung in Indien hat und von Orthdoxen gar nicht als moslemisch akzeptiert wird. Im Zuge dieser Gläubigwerdung interessierte er sich zusehens für orientalische Musik und nahm Elemente davon in seinen eigenen Klangkosmos auf. Mit Bambusflöten, indischer Schalmei, taiwanesischer Bodenharfe, Oboe und Fagott erweiterte er sein Instrumentarium, um einen Jazz zu spielen, der in exotischen Farben schillerte.
2004 hat das Filmemacherteam Nicolas Humbert und Werner Penzel, das schon etliche bemerkenswerte Musikfilme gedreht hat, den damals 84jährigen in seinem Haus in Amherst, Massachusetts besucht, das mitten im Wald steht. Hier lebt der alte Improvisator allein wie ein Einsiedler, umgeben nur von seinen Instrumenten und seiner Musik. Und den Erinnerungen. Daraus enstand der Film “Brother Yusef”. Darin erzählt Lateef über “seine alten Freunde” wie John Coltrane und Lester Young. Dazwischen rezitiert er Gedichte, meditiert, philosophiert und improvisiert auf Flöten, Klavier und Saxofon.
Jetzt hat Nicolas Humbert einzelne Musikstücke und Rezitationen aus dem Soundtrack des Films für eine CD-Produktion neu aufbereitet. Da finden sich die herzerwärmenden Gesänge von Lateef, der dabei mehr in sich hinein summt als singt und sich nur mit ein paar spärlichen Akkorden auf dem Piano begleitet. Dann greift er zu einer orientalischen Bambusflöte und spielt ein paar Tonlinen über die Klavierintervalle.
Die Rezitation einer “Short Story” wird von einer Saxofonimprovisation unterlegt, ebenso wie ein längeres Gedicht über Lester Young, bei dem im Hintergrund Lateef im Stile des großen Meisters auf dem Saxofon fabuliert. Dieses Solo hätte man gerne auch noch einmal ohne Worte gehört. Der afro-amerikanische Gospelklassiker “Sometimes I feel like a motherless child” wird mit großen Eindringlichkeit dargeboten. Es ist die einzige Komposition, die nicht von Lateef selber stammt.
Man kann die Einspielung auch als Hilferuf verstehen. Am Ende seines Lebens, wenn die Kräfte nachlassen, fühlt sich der alte Mann sicher zusehens einsam und verlassen in seiner Klause. Am 9. Oktober 2012 wird er 92 Jahre alt. Bei diesem Album könnte es sich um seine letzte Einspielung handeln. Sie ist das Vermächtnis eines großen Jazzmusikers, der zeitlebens seinem eigenen inneren Kompass gefolgt ist und dessen Musik oft einer Meditation oder einem Gebet glich - hier ist das nicht anders.
Yusef Lateef: Roots Run Deep (Rogue Art)
PS.
In der Jazzthetik Sept/Okt 2012 lese ich, dass die Kollegin Martina Zimmermann, die ihn interviewen wollte, von der Managerin von Yusef Lateef vorgewarnt wurde, als Frau ihm zur Begrüßung nicht die Hand zu geben, was ich dann doch ziemlich befremdlich finde. CW
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