RADIKALE TRADITION - Matthew Shipp
Die radikale schwarze Tradition
Der New Yorker Jazzpianist Matthew Shipp
von Christoph Wagner
Matthew Shipp ist einer
der kreativsten Köpfe der New Yorker Jazzszene: Pianist, Plattenproduzent und
Bandleader in einer Person - er hält die schwarze Freejazz-Tradition am Leben, obwohl er auch ein Faible für elektronische Sounds hat. Das sei der Gegenwart geschuldet, sagt er.
Höchstens zwei Dutzend
Zuhörer saßen etwas verloren im Kirchenraum der Middle Collegiate Church in der
7ten Straße von Manhattans Lower East Side. Sie lauschten einem jungen
Pianisten, dessen Finger mühelos-leicht über die Tasten huschten, um einen
filigranen Strom von Tönen zu erzeugen. Einfühlsam wurde der “Nobody” von zwei
erfahrenen Improvisationsmeistern begleitet: William Parker (Kontrabass) und
Steve McCall (Schlagzeug) waren sich nicht zu schade, ihre Reputation in die
Waagschale zu werfen, um dem Newcomer zu erster Beachtung zu verhelfen.
Das junge Talent am Piano
war der 26jährige Matthew Shipp, der Mitte der 80er Jahre seinen Einstand in
New York gab. Seine Musik war eindeutig in der Tradition des schwarzen Freejazz
verwurzelt, besaß aber dennoch einen dezenten Fluß und federnden Swing. Shipp
musizierte eher zurückhaltend, ja fast schüchtern, spielte keine aufbrausende
“Fire Music”, sondern knüpfte aus feingewobenen Tonfäden filigrane
Klanggebilde. “Als ich nach New York kam, wollte ich unbedingt vermeiden, wie
Cecil Taylor zu klingen,” erinnert er sich. “Es ging darum, meine eigene
Handschrift zu finden.”
Heute, mehr als ein
Vierteljahrhundert später, zählt Shipp zu den etablierten Namen im modernen
Jazz. Jahrelang hat er als Begleiter in den Gruppen von William Parker, David
S. Ware oder Roscoe Mitchell improvisiert, darüber hinaus mit Elektronikern wie
DJ Spooky und Spring Heel Jack gearbeitet. Dazu kamen eigene Bandprojekte.
Obwohl Shipp mittlerweile über fünfzig ist, ist er ein umtriebiger Geist
geblieben.
Kleine Besetzungen liegen
ihm besonders, wobei das klassische Jazzpianotrio ein Format ist, das ihn bis
heute in den Bann zieht. “Diese Besetzung ist ein elementarer Bestandteil der
Jazztradition. Jeder Pianist hat irgendwann einmal im Trio gespielt. Das
Konzept fasziniert mich, obwohl ich versuche, innerhalb dieses Rahmens etwas
anderes zu machen,” erläutert er sein Faible.
Neben seinem Trio ist
Shipp auch im kammermusikalischen Duo mit einem alten Weggefährten zugange: dem
Saxofonisten und Klarinettisten Sabir Mateen. Ihre frei improvisierte Musik ist
keine totale Improvisation. Subtil werden Themen eingeflochten, wobei die Musik
einer Dramaturgie folgt, die sich von lyrisch-versonnen zu wild-expressiv
steigern kann. Sogar Fragmente von Jazz-Standards können anklingen.
Über die Jahre hat Shipp
an Statur gewonnen. Aus dem zurückhaltenden Neuling ist eine selbstbewußte
Musikerpersönlichkeit geworden, die souverän über die ganze Palette der
schwarzen Jazzpianotradition verfügt. Sowohl Innovation als auch Konsistenz
kennzeichnen sein Spiel. “Die Konstante bin ich selber. Die Grundsubstanz von
dem, was ich tue, ist dieselbe geblieben, obwohl sich zu verschiedenen Zeiten
unterschiedliche Interessen in den Vordergrund schieben,” erklärt er. “Manchmal
habe ich mich ganz bewußt in die Tradition der Jazz-Avantgarde gestellt, dann
gab es wieder Zeiten, wo ich mich einfach als Jazzpianist verstanden habe, als
Erbe von Bud Powell und Thelonious Monk. Ich habe mich weiterentwickelt, doch
meine Identität ist die gleiche geblieben.”
Seit mehr als zehn Jahren
ist Shipp noch in einem zweiten Beruf tätig. Er zeichnet als Kurator für die
Veröffentlichungen der “Blue Series” beim New Yorker Plattenlabel Thirsty Ear
verantwortlich. Dort macht er sich vor allem für innovative Kooperationen von
Jazzmusikern mit Hiphop-Künstlern und Elektronikern stark. “Wir greifen einfach
interessante Projekte auf,” meint er lapidar. “Die Fusion von Jazz und
Elektronik scheint eine Notwendigkeit der Zeit zu sein.”
Trotz dieser Faszination
hat Shipp nicht vor, sich zum Elektroniker zu häuten. Allerdings sieht er in
der Elektronik eine Herausforderung, der der Jazz nicht ausweichen sollte. “Man
kann seiner Umgebung nicht entkommen. Computer sind heute Teil unseres
zentralen Nervensystems,” argumentiert er. “Deshalb muss man ihre musikalischen
Möglichkeiten erkunden, selbst im Kontext akustischer Musik.”
Matthew Shipp: Art Of The
Improviser (Thirsty Ear)
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