Totgesagte leben länger
Von Christoph Wagner
Was Elvis für den Rock ‘n’ Roll bedeutete und Bob
Marley für den Reggae, war Johnny Rotten für den Punk – die Figur, in der sich
eine ganze musikalische Bewegung verkörpert sah. Jetzt kehrt Johnny Rotten
unter seinem bürgerlichen Namen, John Lydon, mit einem neuen Album auf die
Szene zurück – das erste seit fast 20 Jahren. Eine solide Arbeit, die
allerdings nicht ohne Schwächen ist.
Rotten war Sänger der Sex Pistols, die 1976 in
England mit Songs wie “Anarchy in the UK” und “God save the Queen” die
Punk-Rebellion lostraten. Die Band bestanden kaum zwei Jahre lang, bevor sie im
Chaos versank und auseinander fiel. Nach der Auflösung legte Johnny Rotten
seinen Künstlername ab und nannte sich wieder John Lydon. Mit ein paar Freunden
gründete er Public Image Limited, kurz PIL genannt, die Band, mit der er die
nächsten zehn Jahre aktiv war. Aus dem rebellischen Rotzlöffel wurde ein ernsthaften
Musiker. 1979 glückte PIL mit dem Album “Metal Box” ein Meilenstein der
Rockgeschichte. Die Schallplatte, verpackt in der runden Metallschachtel einer
Filmrolle, verband die rohe Aggressivität des Punk mit den schweren Grooves des
Dub-Reggae und der Klangwelt der Avantgarde zu einem musikalischen Monument,
das hellsichtig in die Zukunft wies.
Nach 20 Jahren Abstinenz von der Szene und einem
umstrittenen Abstecher in die Fernseh-Werbung, was seinem Bankkonto sicher
förderlicher war als seiner Glaubwürdigkeit als Punk, kehrte Lydon 2009 ins aktive
Musikleben zurück. Für eine Tour zum 30. Jubiläum der “Metal Box” stellte er
eine neue Band zusammen. Auf seine alten Gefährten aus der klassischen
PIL-Formation, Gitarrist Keith Levene und Bassgitarrist Jah Wobble, griff er
dabei nicht zurück – im Gegenteil: Als sie ihr eigenes Jubiläumsprojekt namens
“Metal Box in Dub” ankündigten, drohte ihnen Lydon mit der juristischen Keule.
Anstelle der beiden holte der “König des Punk” den Gitarristen Lu Edmonds und
den Drummer Bruce Smith ins Boot, die in der letzten PIL-Besetzung in den später
80er Jahren mit von der Partie gewesen waren. Der Baßjob ging an Scott Firth,
einen Sessionprofi, der einst mit den Spice Girls gearbeitet hatte.
Die Gruppe nahm sich Zeit, um die Songs der
“Metal Box” originalgetreu einzustudieren. Danach ging es auf Tour durch
England, Europa und Amerika. Die Resonanz war so vielversprechend, dass Lydon
Überlegungen anstellte, ein Album mit neuem Material einzuspielen: “This is
PIL” ist jetzt auf Lydons eigenem “PIL Official”-Label erschienen, ein Indiz
dafür, dass keine der großen Plattenfirmen bereit war, seine finanziellen Forderungen
zu erfüllen und den Exzentriker unter Vertrag zu nehmen.
Die Songs des aktuellen Albums verfügen über
alle Elemente, die einst den Sound von PIL ausmachten: ein hartes, treibendes
Schlagzeug, scharfe Gitarrenriffs, einen hypnotischen Bass und schillernde Klänge.
Darüber legt Lydon seinen typischen proklamierenden Sprechgesang, der
allerdings, im Tonumfang limitiert, auf Dauer etwas eindimensional und eintönig
wirkt. Die Musik atmet dagegen mehr Frische. Vor allem Gitarrist Lu Edmonds gelingt
es kräftige Farbtupfer zu setzen, ob mit verblüffenden Effekten auf der
elektrischen Gitarre oder Ethnoklängen auf der türkischen Saz. Solch kleine
Extravanzen können der Musik nur gut tun.
No comments:
Post a Comment